Künstler rufen zu ESC-Boykott 2019 auf
Die britische Zeitung "The Guardian" veröffentlichte am Wochenende den Aufruf von über 140 Kulturschaffenden aus Europa, Nordamerika und Australien, den ESC im kommenden Jahr in Israel zu boykottieren. Unterzeichnet haben den Boykott-Aufruf Prominente wie die britischen Musiker Roger Waters und Brian Eno, der in Deutschland populäre belgische Sänger Helmut Lotti und der kanadische Schriftsteller Yann Martel ("Schiffbruch mit Tiger"). Außerdem zählen die Filmregisseure Mike Leigh, Aki Kaurismäki und Ken Loach sowie die Schauspielerin Julie Christie zu den Unterzeichnern. Auch ESC-Künstler und -Künstlerinnen sind mit von der Partie: etwa Charlie McGettigan (ESC-Sieger 1994 in Dublin), Kaija Kärkinen (für Finnland beim ESC 1991 in Rom) und Kyösti Laihi von der finnischen Band Boulevard (ESC 1988 in Dublin). Deutsche Künstler oder Künstlerinnen finden sich nicht auf der Liste.
Kampagne gegen Israel
"Wir, die unterzeichnenden Künstler aus Europa und darüber hinaus, unterstützen den Appell palästinensischer Künstler, den von Israel veranstalteten Eurovision Song Contest 2019 zu boykottieren", fordern die Unterzeichner und weiter: "Solange die Palästinenser nicht Freiheit, Gerechtigkeit und gleiche Rechte genießen können, sollte es keine Geschäfte mit dem Staat geben, der ihnen ihre Grundrechte verweigert." Die Europäische Rundfunkunion (EBU) solle die Austragung des Wettbewerbs in ein Land mit einer besseren Menschenrechtsbilanz verlegen, so die Forderung. Etliche der Unterzeichner, beispielsweise Roger Waters, Mitbegründer von Pink Floyd, zählen auch zum Unterstützerkreis der sogenannten Bewegung "BDS" (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen). Sie drängt Künstler, aber auch Politiker, Unternehmen oder Sportler dazu, Auftritte in Israel abzusagen oder Kooperationen mit dem Land zu beenden.
ESC 2019 dient als Vorwand
Boykott-Aufrufe jener "BDS"-Unterstützer gegen die ESCs etwa in Moskau 2009, der überschattet war durch Strafandrohungen gegen alle offen schwulen Männer, und bei dem ein Christopher Street Day in Moskau während der Eurovisionstage von russischen Milizen brutal aufgelöst wurde, oder gegen den ESC 2012 in Baku sind damals nicht formuliert worden. Übersehen wird von den Boykott-Forderern ohnedies, dass es selbst im autokratisch geführten Aserbaidschan möglich war, eine Tagung zur Lage der Menschenrechte in dem Land am Kaspischen Meer durchzuführen - unter dem Schutzschirm der EBU. Aber in Israel herrscht kein diktatorisches Regime. ESC-Delegationen und -Fans werden sich, wie schon in Jerusalem 1999 und 1979, davon überzeugen können, wie demokratisch streitbar in diesem Land miteinander umgegangen wird.
EBU sieht Boykott als nicht diskussionswürdig
"Der Eurovision Song Contest ist ein langjähriges, nicht-politisches Unterhaltungsprogramm, das Publikum und Länder zusammenbringt. Es gab keine Diskussionen mit Vollmitgliedern und assoziierten Mitgliedern der EBU über einen Boykott des Wettbewerbs in Israel. Alle Mitglieder der EBU sind berechtigt, am Eurovision Song Contest teilzunehmen und haben bis Oktober Zeit, ihre Teilnahme an der Veranstaltung im nächsten Jahr zu bestätigen", heißt es seitens der EBU zum Boykott-Aufruf. Thomas Schreiber, ARD verantwortlich für den ESC, wurde am Sonntag etwas deutlicher: "Heute beginnt das jüdische Neujahrsfest Rosch ha-Schana, es zählt zu den wichtigsten Feiertagen für Juden in aller Welt. Aus diesem Anlass zum Boykott des Eurovision Song Contest in Israel aufzurufen beziehungsweise die EBU aufzufordern, dem israelischen Rundfunksender Kan das Recht auf die Ausrichtung des ESC zu entziehen, ist durchschaubar. Der israelische Rundfunksender hat das Recht und die Pflicht zur Ausrichtung des Eurovision Song Contest mit dem Sieg Nettas in Lissabon übernommen. Wir freuen uns auf den ESC 2019 in Israel."
Lotti bezeichnet Unterschrift als Fehler
Am 14. September veröffentlichte Helmut Lotti über Facebook ein Video, in dem er sich von dem Boykott-Aufruf distanziert. Er habe seine Unterschrift mittlerweile widerrufen, so Lotti. Ihm sei nicht klar gewesen, dass die Organisation als antisemitisch bezeichnet wird.