Werden die Letzten die Ersten sein?
Inzwischen werden auch die Votingresultate der ESC-Fanclubs veröffentlicht. Aber: Bislang haben Ann Sophie und ihr "Black Smoke" noch niemanden wirklich begeistern können. Klar, die Anzahl der Wertenden ist nicht bekannt, es könnten sehr viele sein oder nur drei Menschen. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass die bislang eingetrudelten Stimmungsbilder sich kaum bis zum ersten Semifinale verändern werden: Bei den organisierten ESC-Aficionados liegen Italien, Schweden, Estland und Australien vorne.
Wie wenig sich das Bild verändert hat, erkennt man leicht, studiert man die Prognosen bei Oddchecker, auf der alle relevanten Wettbüros gelistet sind, zum Beispiel Großbritannien und Irland. Auch hier sind die genannten Favoriten ganz oben und dicht beieinander: Der Schwede Måns Zelmerlöw wird am höchsten gehandelt, die italienischen Dramatenöre gleich dahinter, dann schon der Australier Guy Sebastian und schließlich das estnische Duo namens Elina Born & Stig Rästa. Alle vier Acts rangieren auch aus ästhetischen Gründen bei den Prognosen sehr weit vor allen anderen - ihre Lieder sind besonders eingängig und gut wiedererkennbar.
Beeinflussen die Prognosen die Abstimmung?
Ob das so bleibt? Ist es tatsächlich so, dass die Wetten und die Fans mit ihren Wertungen dem Gesetz der schweren Mitte folgen, das unter anderem von der berühmten deutschen Meinungsforscherin, der jüngst gestorbenen Elisabeth Noelle-Neumann, formuliert wurde? Dass es sozusagen ein allgemeines Gemurmel gibt, das den ohnehin schon favorisierten Liedern einen Bonus gibt, weil kaum jemand sich traut, dissident, abweichend, anders als die anderen zu stimmen?
Ja, das ist die Krux beim Wetten, dass man dazu tendiert, so zu werten wie alle es tun, sei es in kommerziellen Büros oder in Fanclubs. Man will sich nicht irren und ist lieber im Chor der Masse, so dass man sich im schlimmsten Fall gemeinsam geirrt hat.
Sieg trotz schlechter Prognosen: Olsen Brothers
Ich habe dieses Beispiel schon da und dort angeführt, aber die Wetten sind das eine. Das andere sind die Tatsachen. Als die Olsen Brothers als dänische Kandidaten 2000 für Stockholm gemeldet worden waren, unkte die Fanszene, dass diese mittelalten Säcke aus Dänemark im Konzert der Jungen und sehr Jungen keine Chance haben würden. In den Prognosen spiegelte sich dieses Empfinden genauso. Nun, einen elften Platz prophezeite man ihnen kurz vor der ersten Generalprobe am Freitagabend. Samstag war alles anders, da realisierten die Prognostiker, dass man es bei den Dänen mit gewieften Showmännern zu tun hatte, die einen Saal rocken können.
Denn, und das gilt auch für Wien: Gespielt wird auf dem Platz. Wie beim Fußball. Jeder Act, auch der Schwede, die Italiener, die Esten oder der Australier, müssen bei ihren Liveauftritten (beim Juryfinale am Freitag wie beim Grand Final am Samstag) erst mal schaffen, was die Eindrücke von den Videoclips verheißen. Mir jedenfalls scheint es ganz unwahrscheinlich, dass die Österreicher von den Makemakes irgendwo ganz hinten landen werden oder dass die Hamburgerin Ann Sophie so weit "unter ferner sangen" enden wird, wie noch kein deutscher ESC-Act seit Gracia oder Stone & Stone.
Aus schwarzem wird weißer Rauch?
Eher glaube ich, dass Ann Sophies schwarzer Rauch ziemlich smart auf der Bühne seine Spuren verbreiten wird. Okay, das mag man mir jetzt auslegen als Hoffnungszeilen, die durch nichts gerechtfertigt sind. Aber warum eigentlich nicht? Beim Fußball ist vor dem Anpfiff doch alle theoretische Wahrheit grau, die durch die entscheidende Realität ins viel Bessere gefärbt werden kann: durch den Liveauftritt, wenn es ernsthaft um Punkte und Platzierungen geht.
Mit anderen Worten: So wenig es ein Gesetz gibt, das vorschreibt, Bayern München werde garantiert Meister, so gibt es auch keines, das verhindert, dass ein Außenseiter plötzlich ganz weit vorne landet. Auch das ist der ESC: ein Festival von Außenseitern.