Von wohltuender Kaputtheit und wässrigem Bier
Ich bin kein typischer ESC-Konsument. Für die Dogmatiker bin ich zu hobbyistisch, für die Hobbyisten kenne ich mich zu gut aus. Ich weiß zum Beispiel, dass Morrisseys Lieblingsbeitrag einer aus Luxemburg ist, "Pomme Pomme Pomme" von Monique Melsen. 1971 ist sie damit 13. von 18 Teilnehmern geworden. Bei Morrissey-Konzerten ist es schöner Brauch, dass Fans ihm die Single auf die Bühne werfen. Ich bin auch nur vier Mal am Ort der Austragung gewesen. Einmal war ich in Baku, als der Contest in Düsseldorf stattfand. Ich bin schon mal vorgereist, weil ich wusste, dass Aserbeidschan gewinnen wird. Man kann mich als Orakel mieten.
Conchita Wurst wäre perfekte ESC-Botschafterin
In Kopenhagen bin ich wegen Conchita Wurst. Ich wusste schon vor zwei Jahren, dass ihre Art, ihr Stil so ESC-kompatibel ist, dass es fast wehtut. Wenn der Wettbewerb noch zu so etwas Altmodischem wie Toleranz verpflichtet ist, ist sie und ihr Konzept die perfekte Botschafterin. Kopenhagen ist sehr aufgekratzt, man versteht so ein aufgeblasenes, irisierendes Gebilde wie den ESC eben zu feiern und sich mitzufreuen.
Muffige Plastikzelte und Superspezialisten
Der Veranstaltungsort ist auf einer Insel im Industriehafen, architektonisch eindrucksvoll von außen, ein brutalistischer Klotz. Aber das Pressezentrum ist ein muffiges Plastikzelt mit schwankendem Bretterboden, und es gibt keinen Alkohol dort. Wie soll man das stundenlang ertragen, mit todernsten Aseri, Georgiern und Armeniern, die den ESC praktisch qua Lautstärke und Enthusiasmus machen. Zum zweiten Semifinale bin ich nicht rausgefahren, man kann sogar mit der Fähre hin. Ich bin auf die Fanmeile gegangen, es regnete leider immer wieder, und zauberhafterweise bog sich als Conchita sang, nicht nur ein Regenbogen im dänischen Himmel, sondern sogar zwei. Aber lieber im Regen Bier trinken und eine hirsutische Frau bejubeln, als mit lauter Superspezialisten quasi in die Röhre schauen, ohne Regenbogen.
Herrlich dänisch undogmatisch
Dänemark und die Dänen sind an sich großartig, wenn sie nicht zu sehr skandinavisch sind, also nicht so lieb, verständnisvoll, sozialdemokratisch und protestantisch. Dann und wann drängt sich wohltuende Kaputtheit oder finnische Verkauztheit ins Bild, dann ist es wieder gut. Die neue Architektur ist fantastisch hier. Die alte ist, naja, Hans-Christian-Andersen-esk eben. Das Bier ist toll, kleine Fläschchen Tuborg oder Carlsberg, die nach gar nichts schmecken, auch völlig ununterscheidbar. Aber man trinkt natürlich Tuborg, wegen des besseren Etiketts. Glaubenskriege gibt's nicht, weil eben beide gleich wässrig schmecken und inzwischen sogar einer Dynastie gehören. Es ist also alles völlig egal, sehr dänisch undogmatisch, wie ich finde. Es ist wurscht, wie Conchita sagen würde, wenn sie Bier tränke.