Brief an Jan Feddersen zum Geburtstag
Lieber Jan, als ich dich das erste Mal sah, da kannte ich dich eigentlich schon. Wir trafen uns an einem grauen Februar-Abend vor 20 Jahren ausgerechnet in meiner Heimatstadt Lübeck. Dort fand die deutsche ESC-Vorentscheidung statt. Wir waren die beiden einzigen Journalisten. Wenn ich mich recht erinnere, hatten noch nicht einmal die "Lübecker Nachrichten" einen Reporter geschickt. Ich reiste mit einem Ü-Wagen an, du mit Papier und Bleistift. Backstage beobachtetest du mit strengem Blick das banale Szenario. In meinen Augen umgab dich die Aura eines ESC-Hohepriesters. Sicherlich ist das nur eine nachträgliche Interpretation meinerseits. Wie gesagt: Ich kannte dich bereits - von deinen Texten über den Eurovision Song Contest. Ich fragte mich in dem Augenblick, wie du aus der Shomburg-Tristesse des Abends eine gleichermaßen amüsante wie glamouröse Nachbetrachtung zaubern würdest.
In den 90er-Jahren war es vor dem Grand Prix - wie wir damals sagten - schlichtweg unmöglich, irgendeine Information über den bevorstehenden Wettbewerb zu erhalten. Es sei denn, man las deine Artikel. Es war tatsächlich so: Du warst der einzige deutsche Journalist, der von den Proben des ESC berichtete. Mein Freund hatte damals glücklicherweise die "taz" abonniert. Ich erinnere mich genau, wie wir in seiner WG-Küche saßen und uns deine Reportagen laut vorlasen. An Inhalte erinnere ich mich nicht mehr. Sicherlich berichtetest du damals aus irgendeinem irischen Kuhdorf. Aber unvergesslich bis heute blieben deine unverwechselbare Sprache, die feinen Beobachtungen, der Sinn für Humor. In meiner Erinnerung klopfen wir uns beim Hören deiner Artikel vor Freude auf die Schenkel (vielleicht ebenfalls eine romantisierende Glättung).
Ein Thema, das verbindet
Im nächsten Jahr lernten wir uns richtig kennen. Birmingham war - Guildo Horn sei Dank - mein erster internationaler Einsatz als Reporter. Wir sahen gemeinsam die belgische Probe. Du: der Routinier. Ich: der Frischling. Mélanie Cohl war deine Favoritin. Meine hieß Imaani. In einem wahnsinnig spannenden Finale gewann am Ende Dana International. Ich war enttäuscht, danebengelegen zu haben. Du nicht. Als wir uns auf der Pressekonferenz der Siegerin trafen, strahltest du übers ganze Gesicht und sagtest so etwas wie: "Was für ein toller Sieg für die schwule Emanzipation!" Und damit hattest du das Thema benannt, das uns über die Jahre verbinden sollte. Über einzelne Musiktitel haben wir uns immer gestritten, weil wir ganz und gar unterschiedliche Geschmäcker haben. Du eher so Rona Nishliu, ich mehr so Guy Sebastian.
Aber wir waren uns immer in einem einig - und zwar, dass der ESC viel mehr ist als nur Musik. Der ESC ist europäisch, politisch und queer. Die Verbindung dieser Attribute mit Musik und Wettbewerb macht den einzigartigen Reiz des Eurovision Song Contest aus. Und in diesem Spannungsfeld werden wir bis heute nicht müde, jeden Quadratzentimeter auszudiskutieren. Denn du hast Meinungen, über die man trefflich streiten kann. Und du liebst es zu provozieren. Nicht nur mich, die User von eurovision.de oder die "taz"-Leser, sondern du nimmst es gern auch einmal mit dem ganzen Wissenschaftsbetrieb auf. Kein anderer wird in akademischen Arbeiten über den ESC so oft zitiert wie "der Feddersen".
"Der Feddersen" ist eine Marke
Der Feddersen! Jeder (in unserem Milieu) weiß, wer gemeint ist. "Hast du gelesen, was der Feddersen geschrieben hat?" Diese sehr oft gehörte Frage formuliert gleichzeitig ein Statement - nur die Intonation verrät die Absicht: Amüsement, Überraschung, Empörung oder Sarkasmus. Kein anderer Experte hat es geschafft, kraft seines Namens zu einer Marke zu werden. Eventuell das eine oder andere Blogger-Kollektiv, aber keine Einzelperson. Das mag viele Gründe haben. Einer ist für mich persönlich der entscheidende: Du hast schon in schwierigen Zeiten aus Liebe zum ESC in deiner Redaktion für Berichterstattung über den Wettbewerb gekämpft. Damals wurden den Autoren Beiträge über den ESC nicht aus der Hand gerissen. Ich spreche da durchaus auch aus eigener Erfahrung.
Um zu dem ESC-Journalisten der ersten Stunde zu werden, musstest du unter schwierigen Bedingungen kämpfen, überzeugen, umschmeicheln, argumentieren und darüber hinaus natürlich überdurchschnittlich gute journalistische Arbeit abliefern. Heute ist der Tag, an dem ich für all dies vor allem eines sagen möchte: Danke, Jan!