Stand: 28.01.2014 12:30 Uhr

"Ich bin das Gegenteil von einem Provokateur"

Jan Feddersen  Foto: Christian Spielmann
Kandidaten bewerten, Prognosen abgeben, Diskussionen entfachen - das gehört zum Alltag von ESC-Experte Jan Feddersen.

Anfangs war Jan Feddersen einfach nur begeisterter Fan des weltgrößten Musikwettbewerbs, seit vielen Jahren befasst er sich auch beruflich mit dem Eurovision Song Contest. Der gelernte Journalist schreibt über den Grand Prix unter anderem für die Rubrik "Feddersens Kommentar" auf eurovision.de. Mit seiner Meinung hält Jan Feddersen dabei nicht hinterm Berg und eckt damit immer wieder an.
Im Interview spricht der Song-Contest-Experte über Reaktionen auf seine Kommentare, falsche Gewinn-Prognosen und seine persönlichen Allzeit-ESC-Helden.

Sind Sie ein Provokateur?

Jan Feddersen: Nein. Wo ich bin, ist die Nichtprovokation. Ich fühle mich durch Undurchdachtheiten provoziert - wenn einfach so mitgeblökt wird in irgendeiner Kommentarherde. Ich finde, man darf auch über Politisches einmal mehr nachdenken, über einen ESC überhaupt. Ich bin das Gegenteil von einem Provokateur. Ich pflege nur das Recht, mir eine eigene Auffassung herauszunehmen.

Wie verstehen Sie Ihre Rolle als Kommentarschreiber für eurovision.de. Das ist ja so eine Art Blog?

Feddersen: Ein Blog ist ein Klassiker des Gesprächs. In schriftlicher Form spricht man mit dem Forum und hofft auf Antworten, auf Resonanz. Ich schreibe auch ganz oft: Ist da jemand anderer Meinung? Und ich wünsche mir, dass andere auch andere Meinungen haben. Ich weigere mich, meine eigenen Auffassungen zum Maßstab zu machen. Für mich ist es wahrhaftig und andere können das anders sehen. Das gehört für mich zur ESC-Geschichte. Man toleriert die Geschmäcker der anderen.

Gibt es Reaktionen auf Ihre Äußerungen, die Sie beeindrucken?

Feddersen: Wenn Kommentatoren mich verstehen, mir trotzdem nicht Recht geben und eine eigene Haltung dagegen entwickeln, das mag ich total. Wenn ich dann sage: "Am stärksten hat mich das und das Lied berührt" und jemand sagt "Nee, da war doch das und achte mal darauf und ich schlage dir mal dieses vor". Das geht mir oft nahe, wenn ich merke, da macht sich jemand einen Kopf.

Gibt es auch schwierige Themen?

Feddersen: Es gibt Sachen, dazu fällt mir nix ein. Also zu Weißrussland fällt mir immer nur ein: Ich möchte nicht, dass es da stattfindet. Und das, was Weißrussland seit seinem Debüt geliefert hat, finde ich gruselig. Man weiß ja, dass dort in der Regel keine demokratischen Entscheidungen stattfinden - dann interessiert es mich auch nicht. Das ist alles schrecklich. Gedanklich musste für mich auch erst klar werden: Nein, ich lehne eigentlich die politischen Verhältnisse in Russland ab. Aber man muss anerkennen, dass der russische Beitrag des vorigen Jahres gut war. Das blieb hängen.

Gab es auch Kommentare, bei denen Sie daneben gelegen haben?

Feddersen: Es gibt zwei Sachen. Ich war sehr unaufmerksam im Hinblick auf den Sieg von Marija Serifovic in Helsinki und ich hab Lordi falsch eingeschätzt. Die hatte ich überhaupt nicht auf der Rechnung.

Wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zum ESC?

Feddersen: Ich bin schon lange kein Fan mehr. Denn wer als Journalist ernsthaft arbeitet, kann nicht gleichzeitig Fan sein. Man muss auch immer eine Distanz suchen und wenn ich besondere Vorlieben habe, dann betone ich, dass das jetzt nicht objektiv ist oder die Wahrheit. Allerdings, ohne mich distanzieren zu wollen, ich höre natürlich nicht von morgens bis abends ESC-Musik. Ich höre Musik querbeet.

Beim ESC wird jedes Jahr spekuliert, wer gewinnt. Im vergangenen Jahr haben Sie mit dem Tipp Emmelie de Forest voll ins Schwarze getroffen.

ESC-Experte Jan Feddersen sitzt in seinem Arbeitszimmer vor dem Computer. © NDR Foto: Nicole Janke
Wenn er nicht gerade in der ESC-Welt unterwegs ist, entstehen Feddersens Kommentare im heimischen Arbeitszimmer.

Feddersen: Ja, aber sie war nicht meine persönliche Favoritin. Ich habe gesagt, sie wird mutmaßlich gewinnen. Ich habe einige Male richtig gelegen aber auch viele schlimme Prognosen abgeliefert. Ich bin kein guter Prognostiker, vor allem mit dem Gewinner nicht.

Woran machen Sie fest, ob jemand Siegchancen hat oder nicht?

Feddersen: Es ist ein bisschen wie im Fußball. Heute sind in der Champions League nach der Gruppenphase auch die richtigen Geldsäcke oben - und das merkt man auch beim ESC. Eigentlich liegen die handwerklich besten Dinger meistens vorne. Heute kommt alles vom Backing Track. Da hörst du eben auch, ah da hat jetzt Timbaland mitproduziert oder ein richtig teures Team aus Skandinavien. Man könnte sagen, es ist zugleich auch demokratischer geworden. Durch die digitale Technik können sich jetzt plötzlich auch albanische Beiträge hoch professionell anhören. Aber eigentlich liegen die Beiträge vorne, die am professionellsten interpretiert werden.

Gibt es Entscheidungen, die Sie geärgert haben?

Feddersen: 2008 der Sieg des Russen - fand ich furchtbar. Mich hat auch 1989 die jugoslawische Gruppe Riva geärgert oder Eimear Quinn 1996 in Oslo. Aber ich bin da nicht leidenschaftlich. Dann haben die eben gewonnen. Es ist ganz viel Konfliktstoff bei Journalisten und Fans verschwunden durch die Digitalisierung. Es gibt die Beiträge im Netz. Wenn ein Beitrag nicht so gut abschneidet, man kann ihn trotzdem dauernd reproduziert wieder hören. Aber früher war ich wirklich am Boden zerstört. 1975 als Joy Fleming nur 17. wurde. Da ging für mich wirklich ein Abendland unter. Das war schlimm.

Wer ist Ihr größter ESC-Künstler?

Feddersen: Darf ich drei nennen? Das ist Ilanit 1973. Das erste Mal ist Israel dabei. Das war für mich ein Symbol der Hoffnung nach dem Münchener Olympia-Attentat. Es hatte so ein Zeichen von "Wir lassen uns nicht unterkriegen". Als zweite Künstlerin Lenny Kuhr 1969 mit ihrer Gitarre, weil sie auch toll war in der Performance. Die wirkte fast wie auf Drogen, als sie da sang.

Aus jüngster Zeit?

Feddersen: Ich würde Max Mutzke nennen. Der hat nur den Bühnenabend vergeigt. Wenn er einmal in die Kamera geguckt hätte, wäre alles besser geworden. Hat er aber nicht.

Was bringt der ESC-Sieg oder eine Platzierung für den Erfolg?

Feddersen: Der Musikmanager von Udo Jürgens, Beierlein, hat mal gesagt: "Die meisten wissen nicht, dass mit dem Sieg die Arbeit erst beginnt." Das ist natürlich eine brutale Aussage, weil es bis zum Sieg echt schon viel Arbeit ist. Es bleibt aber unterm Strich völlig unabhängig vom Sieg. Wer einen tollen Auftritt hinlegt, wer als Performer selbst den Eindruck von Ernsthaftigkeit verströmt, kann viele viele Jahre davon profitieren. Siehe Mary Roos, die hat nie gewonnen, aber ohne den ESC wäre ihre Karriere vermutlich nicht so lang gewesen. Oder auch Vicky Leandros. Eine tolle Platzierung beim ESC ist einfach legendenstiftend.

Gibt es etwas, worauf Sie stolz sind in Ihrer ESC-Karriere?

Feddersen: Dass ich mich nicht habe entmutigen lassen, dass das ein seriöses, journalistisch-politisches Feld ist. Darauf bin ich stolz. Mich von so einer Ironisiererei früh verabschiedet zu haben. Ich ironisiere ja auch, ich spotte gerne. Aber man erträgt nichts im Leben, wenn man alles immer nur mit einer ironischen Distanz verkraften will.


Das Interview führte Nicole Janke.