Jamala siegt mit Aufarbeitung ihrer Familiengeschichte
Die Ukrainerin Jamala gewinnt mit "1944" den Eurovision Song Contest 2016 in Stockholm. In ihrem Song verarbeitet sie das Schicksal ihrer Familie.
Sie wollte ein Lied präsentieren, das politisch, aber regelkonform, das prägnant, aber möglichst auch gefällig sein soll. Ein Lied wie "1944". Der Song entstand nicht von ungefähr. Jamala, die eigentlich Susana Jamaladinowa heißt, erblickte 1983 in Osch in der Kirgisischen SSR das Licht der Welt. Ihre Urgroßmutter wurde von Stalins Geheimpolizei gemeinsam mit Hunderttausenden anderen Tataren von der Halbinsel Krim nach Zentralasien verschleppt. Das war 1944. Jamala und ihre Eltern kehrten erst 50 Jahre später auf die Krim zurück. "Es geht um meine Familie und meine Wurzeln", meinte die Ukrainerin in einem Interview zu ihrem Song und distanziert sich vom Vorwurf, mit dem Lied aktuelle Politik machen zu wollen. Denn natürlich weiß auch sie, dass viele bei "1944" auch an Russlands Annexion der Krim im Jahr 2014 denken werden. Die EBU hatte den ukrainischen Beitrag deswegen im Vorfeld geprüft, jedoch entschieden, dass "der Titel und der Text keine politische Botschaft enthalten". Der Song sei regelkonform.
Im Finale überzeugte er dann auch Publikum und Jury. "1944" ist eine überaus modern klingende Soul-/Electropop-Ballade, in der folkloristische und Dubstep-Elemente für die nötige unheilvolle Stimmung sorgen. Vielleicht war es genau diese Mischung aus Historismus und Moderne, der ihr in diesem Jahr den lang ersehnten Sieg beim ESC bescherte.
Gedenken oder Agit-Prop?
Der Song wird durchaus propagandistisch ausgeschlachtet. In einem der vielen Videos zu "1944" sieht man in Spielfilmszenen, wie Uniformierte in ein Dorf einfallen. Dazu erklingt Jamalas Stimme, mit schwerem Akzent singt sie "The Strangers are coming, they come to your house". Und was machen die Fremden im Lied? Sie töten. Alle. Und klar, die Bösen im Video tragen sowjetische Uniformen. Es gibt aber auch gute Soldaten. Die haben ukrainische Hoheitsabzeichen in Blau-Gelb. Hat's die 1944 schon gegeben? Ach, egal. Wo hört geschichtliches Gedenken auf, wo fängt Agit-Prop an? Jamala beantwortet die Frage auf ihre Weise: "Man kann Parallelen ziehen, aber ich möchte unter keinen Umständen, dass die Ereignisse heute so tragisch wie 1944 enden."
Moderne Ballade
Jamala, die bereits 2010 in einem ukrainischen Vorentscheid angetreten war, konnte sich mit "1944" in mehreren Castingshows und Vorentscheiden durchsetzen, das Finale entschied sie dank des Publikumsvotings knapp für sich. Der Song selbst, den sie zusammen mit Art Antonyan schrieb, ist der erste in der ESC-Geschichte, der stellenweise in Krimtatarisch gesungen wird.