La Grande Nation: Endlich zurück
Zwei Zahlenreihen verdeutlichen die ganze Malaise der Ausgangslage vor dem ESC 2016: 22., 23., 26. und 25. Platz lauteten die letzten vier Platzierungen französischer Acts. Punkte? Ganze 41 in vier Jahren, Tendenz Richtung Einstelligkeit: 21, 14, 2 und 4. Egal wie man's dreht und rechnet: Frankreich und der ESC - das wollte seit einigen Jahren nicht mehr so recht zusammenpassen. Das Mutterland des Chansons verfiel spätestens bei Lisa Angells drittletztem Platz in Wien 2015, mit "N'oubliez pas", in eine grande dépression. Was war passiert, dass in Europa niemand mehr das Französische schätzte? Selbst Wettbewerbsbeiträge auf Montenegrinisch, Polnisch und - mon Dieu! - Italienisch liefen besser!
Das Ende frankophoner Behaglichkeit?
Die Grande Nation reagierte. Und das, was jetzt passierte, lässt sich nur mit einem ganz großen Wort beschreiben: Kulturrevolution! Und nichts Geringeres ist Frankreichs Beitrag zum ESC 2016. Amir sang "J'ai cherché", doch was äußerlich noch ganz d'accord mit frankophoner Behaglichkeit geht, offenbart im Innersten das Unerhörte: ein Song auf Englisch! Okay, einige Zeilen nur, aber darunter immerhin auch den Refrain - oder heißt der bei den Franzosen jetzt schon "Chorus"?
You-u-hu-hu-hu-hu-Ohrwurm
Dabei ist "J'ai cherché" ("Ich habe gesucht") trotz (oder gerade wegen) seiner anglophilen Beimischung, genau das, was man sich von einem französischen ESC-Beitrag erhofft: ein vor Optimismus strotzender Feel-good-Song, sonnig wie ein Augusttag in Saint-Tropez, mit einem You-u-hu-hu-hu-hu-Ohrwurm, den man nicht so schnell wieder loswird. Ein Lied, das Spaß macht und das Frankreich endlich wieder eine vordere Platzierung beschert hat: Amir gelang beim Finale ein stolzer 6. Platz.
Geboren in Paris, aufgewachsen in Israel
Geschrieben wurde der ohne Vorentscheid vom Sender France 2 nominierte Song von den Komponisten Nazim Khaled und Johan Errami sowie Amir selbst. Der heißt mit vollem Namen Laurent Amir Khlifa Khedider Haddad und wurde 1984 in Paris geboren. Als Kind emigrierte mit seinen Eltern - aus dem Maghreb stammende Juden - nach Israel. Dort verschaffte sich Amir das erste Mal Gehör mit französischen Songs und 2006 mit einem Auftritt in einer Castingshow. Danach ging er erst mal zur Armee und studierte in Jerusalem Zahnmedizin.
Einladung von Patrick Bruel
Es war eine hebräische Version eines Songs von Patrick Bruel, die Amir 2008 in Frankreich bekannt machte. Der berühmte französische Sänger und Schauspieler mochte die Version seines Liedes und lud Amir zu Konzerten ein. Der konnte 2014 sein Talent einem noch größeren Publikum vorstellen: In der französischen Version der Castingshow "The Voice" wurde Amir Dritter. "J'ai cherché" ist in Frankreich bereits im Januar veröffentlicht worden, erreichte in den französischen Charts aber nur einen 85. Platz. Doch all das kann Amir beim ESC jetzt kaltlassen: Der 6. Platz ist im Sack.