Was kostet der ESC die Teilnehmerländer?
Nach jedem Eurovision Song Contest - vor allem nach einem schlechten Abschneiden Deutschlands - kommt oft die Frage nach den Kosten auf, verbunden mit der These es lohne sich nicht an dem Wettbewerb teilzunehmen, wenn keine gute Platzierung dabei herauskommt.
Beitragsverschwendung lautet dann häufig der Vorwurf an die ARD beziehungsweise den NDR als verantwortliche Rundfunkanstalt in Deutschland. Doch ist die Teilnahme am ESC wirklich so teuer? Ein wesentlicher Bestandteil der Gesamtkosten der Teilnehmerländer ist die Gebühr, die sie an die European Broadcasting Union (EBU) entrichten müssen, um überhaupt am Wettbewerb teilzunehmen. Verglichen mit anderen TV-Übertragungen fällt diese vergleichsweise gering aus, ist allerdings in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und hat einige Länder angesichts der durch Inflation und Energiekrise angespannten öffentlichen Haushaltslage dazu bewogen, nicht nach Liverpool zu fahren, unter anderem Nordmazedonien und Montenegro. Kurz davor hatte das schwedische Fernsehen SVT verkündet, dass die Teilnahmegebühr steigen werde, ohne genaue Angaben zur künftigen Höhe zu machen. Dies soll unter anderem auf die Nichtteilnahme Russlands zurückzuführen sein, hat seine Ursache aber wohl vor allem in allgemein gestiegenen Produktionskosten.
ESC-Gebühren einzelner Teilnehmerländer
In den Medien finden sich zwar vereinzelt die Summen für einige Länder, viele Sender halten sich mit der Veröffentlichung jedoch zurück.
Land | Gebühren an die EBU / teilweise gerundet |
---|---|
Deutschland (2015) | 363.500 Euro |
Deutschland (2017) | 380.000 Euro |
Deutschland (2018) | 400.800 Euro |
Deutschland (2019) | 405.100 Euro |
Deutschland (2021) | 396.452 Euro |
Deutschland (2022) | 407.000 Euro |
Deutschland (2023) | 473.000 Euro |
Deutschland (2024) | 454.905 Euro |
Griechenland (2012) | 120.000 Euro |
Griechenland (2023) | 150.000 Euro |
Irland (2013) | 70.000 Euro |
Malta (2010) | 80.000 Euro |
Montenegro (2012) | 23.000 Euro |
Niederlande (2016) | 250.000 Euro |
Nordmazedonien (2022) | 39.143 Euro |
Rumänien (2014) | 130.000 Euro |
Schweiz (2016) | 63.500 Euro |
Spanien (2015) | 356.000 Euro |
Spanien (2022) | 640.000 Euro |
Spanien (2023) | 347.700 Euro* |
Dass die Teilnahmegebühren so unterschiedlich hoch sind, hat etwas mit dem Umlagesystem der EBU zu tun: Jedes Vollmitglied der Rundfunkunion erhält aufgrund seiner Reichweite und dem Nutzungsgrad von Eurovisionsangeboten (also auch von Nachrichtenbildern und Sportübertragungen) einen Punktewert zugeordnet. Auf der Basis dieser Punktewerte werden die Gesamtkosten für Gemeinschaftsproduktionen auf die einzelnen Teilnehmerstaaten umgelegt. Bei der Finanzierung des ESC stellt die EBU dem austragenden Land einen Sockelbetrag von rund 6,2 Millionen Euro, wie die Zeitung "Daily Star" berichtet. Diese Summe finanzieren die den ESC übertragenden Länder dann als Teilnahmegebühr anteilig per Umlage. Die gastgebende Fernsehanstalt muss dann aus eigener Tasche noch einmal zwischen 10 und 20 Millionen Euro dazulegen, was auch durch Sponsoring ermöglicht wird.
Klage auf Offenlegung der Kosten
In Spanien hatte 2016 ein Fernsehzuschauer den öffentlich-rechtlichen Sender TVE darauf verklagt, die Gesamtkosten der Teilnahme am Eurovision Song Contest 2015 in Wien aufzuschlüsseln - und gewonnen. Auf den ersten Blick war das eine gute Nachricht für die Demokratie: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfüllt schließlich die Aufgabe, die öffentliche Meinungsbildung zu erleichtern und wird dafür von den Bürgern finanziert. Dass diese Bürger ein Anrecht darauf haben zu erfahren, ob mit ihren Gebühren verantwortungsvoll umgegangen wird, regelt beispielsweise in Spanien seit 2013 ein spezielles Transparenzgesetz.
Ist Niederlage beim Wettbewerb "Gebührenverschwendung"?
Auf den zweiten Blick entsprang die Klage allerdings einer Überlegung, die wir auch in Deutschland allzu gut kennen. Schon 2008 zitierte bildblog.de den Titel der "Bild"-Zeitung: "Wir zahlen und die anderen schieben sich die Punkte zu". Nach dem schlechten Abschneiden der No Angels beim ESC in Belgrad wurde so die Diskussion angestoßen, ob die deutsche ESC-Teilnahme "Gebührenverschwendung" sei. Die Forderung, Deutschland solle sich vom ESC zurückziehen taucht nach jedem schlechten Abschneiden deutscher Acts wie Ann-Sophie, Jamie-Lee, Levina, S!sters, Jendrik, Malik Harris oder aktuell Lord Of The Lost in der Folge immer wieder auf. Dürfen also nur noch Wettbewerbe im Fernsehen gezeigt werden, in denen das eigene Land eine gute Figur macht? Der Ton, mit dem die Diskussion geführt wird, ist zuweilen rau. Bei jedem enttäuschenden Ergebnis wird - vor allem in Social-Media-Kanälen - gleich die "Zwangsgebühren"-Keule geschwungen und Forderungen nach einem ESC-Ausstieg werden laut.
Sind die Big Five wirklich die Zahlmeister des ESC?
Zumal immer wieder behauptet wird, dass die Länder der Big Five (Deutschland, Großbritannien, Spanien, Italien und Frankreich) den Löwenanteil der ESC-Produktionskosten finanzieren. Angesichts der vorliegenden Zahlen relativiert sich diese Auffassung allerdings. Gemessen an der Höhe der Teilnahmegebühren sind die Big-Five-Länder zwar die größten Geldgeber, damit aber nicht automatisch die Hauptfinanzierer des Wettbewerbs. Bei Gesamtkosten von rund 11 Millionen Euro für den ESC in Turin machte beispielsweise der deutsche Anteil gerade einmal 3,7 Prozent aus, denn die Länder beteiligen sich ja nur über ihre Gebührenumlage an den Gesamtkosten. Ein anderes Beispiel: Der spanische Anteil an den Gesamtkosten von rund 15 Millionen Euro für den ESC in Wien etwa betrug gerade einmal 2,4 Prozent. Zahlmeister sein geht irgendwie anders. Für die übrigen Big-Five-Länder fällt die Bilanz ähnlich aus, doch die Stimmen, die Gebührenverschwendung beklagen, werden bevorzugt in Ländern laut, deren Abschneiden zu wünschen übrig lässt.
Gesamtkosten versus Nutzen
Tatsächlich ist der Eurovision Song Contest für die ausrichtenden Fernsehanstalten ein vergleichsweise günstiges Fernsehformat. Der britische Wirtschaftswissenschaftler Stephen Boyle hatte 2016 ausgerechnet, dass die 14,3 Millionen Euro (Anmerk. d. Red.: Der schwedische Sender SVT hat diese Zahl offiziell nicht bestätigt), die das schwedische Fernsehen als reine Produktionskosten für alle drei Shows in Stockholm veranschlagt hat, beispielsweise den Kosten für die Übertragungsrechte eines Fußballspiels aus der britischen Premier League entsprechen. Beim ESC erhalten die Rundfunkanstalten im Gegenzug mit den drei Shows Fernsehunterhaltung, die sie auf diesem Niveau kaum selbst hätten produzieren können.
Eine ähnliche Rechnung gab es bereits 2015 auf eurovision-spain.com zu den Kosten des spanischen Senders TVE: Danach lag der Preis für eine ESC-Sendeminute bei 791 Euro, eine Sendeminute eines Fußball-Europameisterschaftsspiels 2016 (bei voraussichtlich annähernd gleicher Einschaltquote) kostet dagegen 21.600 Euro. Es drängt sich die Frage auf: Wenn sich das Ganze nicht rechnen würde, hätte man die Sache dann nicht schon längst an den Nagel gehängt?
ESC rechnet sich für die ARD - und die Gastgeber
Die ESC-Startgebühren für Deutschland liegen 2023 deutlich unter den durchschnittlichen Produktionskosten von Unterhaltungsshows im Hauptabend. Der Gegenwert ist hoch, er besteht aus der Übertragung des ESC-Finales und der beiden Halbfinale - insgesamt rund acht Stunden Fernsehen.
Ausrichterstädte wie Turin oder in diesem Jahr Liverpool betonen immer wieder die Bedeutung des Eurovision Song Contest für die heimische Wirtschaft und die Gesellschaft. Die EBU selbst hat einen Bericht zur nachhaltigen Wirkung des Wettbewerbs 2022 erstellt, den es sich vielleicht zu lesen lohnt, bevor der nächste Rückzug vom Contest gefordert wird.
* In einer früheren Version des Artikel waren die Gebühren an die EBU von Spanien im Jahr 2023 mit 733.000 Euro ausgewiesen. Dies waren jedoch die Gesamtkosten.