Historische LGBTQ-Tour durch Tel Aviv
Seit Jahren hat Tel Aviv den Ruf die schwulenfreundlichste Stadt der Welt zu sein. Passend zum Eurovision Song Contest bietet der Veranstalter von freien Stadtführungen, "Sandemans new Europe", zusammen mit der Stadt Tel Aviv in der Zeit des ESC Touren zur Geschichte der LGBTQ-Gemeinde an.
Die 13-köpfige Gruppe trifft sich am Rothschild Boulevard. Tel Avivs teuerste Straße, umgeben von Häusern im Bauhaus-Stil, ist auch schon der erste Punkt auf der Tour-Liste. "Tel Aviv wurde 1909 gegründet und am Anfang gab es natürlich noch keine Gay-Bars, da hat sich die Schwulen-Szene hier auf dem Boulevard getroffen", erklärt Omer Cohen, der Tourguide. Bevor es richtig losgeht, gibt es eine kleine Vorstellungsrunde und die wichtigste Frage muss geklärt werden: "Was ist euer Lieblings-ESC-Song?" Die Gruppe besteht aus Deutschen, Schweizern, Amerikanern und einem Südafrikaner. Bei den Songs ist von "Waterloo" über Conchitas "Rise Like A Phoenix" bis zu "Dschingis Khan" alles dabei.
Die israelische LGBTQ Task Force
Dann beginnt die LGBTQ-Tour und startet mit einem traurigen Ereignis. Abseits des Rothschild Boulevard in der Nachmani-Straße 28 liegt das Büro der "LGBTQ Task Force", der ersten Organisation, die sich seit 1975 für die Rechte von Schwulen und Lesben in Israel einsetzt. Heute bietet die Organisation rechtliche Unterstützung an und jeden Samstag gibt es eine "Bar Noar" - ein Treffen für LGBTQ-Jugendliche. Hier können sie sich austauschen und neue Menschen treffen. Einige von ihnen hatten noch kein "Coming Out" und wagen hier ihre ersten Schritte in der LGBTQ-Szene.
An einem solchen Samstagabend am 1. August 2009 stürmte ein bewaffneter Mann das Gebäude und feuerte in die Gruppe von Jugendlichen. Ein 15-jähriges Mädchen und einer der Betreuer starben. 15 Menschen wurden verletzt. "Wir haben an dem Abend Kerzen angezündet und eine ganze Woche lang wurde demonstriert. Das endete mit einer großen Demonstration am Rabin-Platz. 8.000 Menschen waren da, auch Präsident Shimon Peres ", erzählt Omer mit Tränen in den Augen. Die Erlebnisse von damals machen ihn immer noch emotional. "Premierminister Benjamin Netanjahu war auch hier und hat alles Mögliche versprochen, aber davon ist nichts wahr geworden", sagt er. Der Täter wurde bis heute nicht gefasst.
Ein Schock für die Community
Der Schweizer Markus und sein Mann Pio sind verwundert, dass sie von dieser Geschichte bis jetzt noch nichts gehört haben. Seit 2011 reisen die beiden ESC-Fans jedes Jahr in das Gastgeberland und feuern den Schweizer Act im Halbfinale an. Auch Luca Hänni kann dieses Jahr auf ihre Unterstützung zählen. Die Tour gefällt ihnen bis jetzt sehr gut. "Wir lieben Menschen und ihre Geschichten. Der Tourguide wurde richtig emotional, als er von dem Anschlag erzählt hat. Da sieht man, dass er es wirklich lebt und nicht nur irgendwas erzählt", sagt Pio.
Gerade weil Tel Aviv eigentlich als sehr offen und LGBTQ-freundlich gilt, war der Mord ein Schock für die Community. "Aber es geht mit positiven Dingen weiter", sagt Omer und führt die Gruppe durch die vollen Straßen von Tel Aviv hin zu einem Haus in der Allenby-Straße. Heute ist hier ein Restaurant, aber Omer erzählt, dass hier zwei der berühmtesten LGBTQ-Persönlichkeiten lebten.
Offen schwul sein - trotz Illegalität
Bis 1988 war es in Israel illegal, als schwuler Mann zu leben. Trotzdem gab es Menschen, die auch davor ihre sexuellen Neigungen offen auslebten. Hier in dem Haus Allenby 99 lebte seit den 1950er-Jahren bis 1990 der deutsche Pelzmacher Stefan Braun, der Hollywood-Größen wie Marlene Dietrich und Elizabeth Taylor einkleidete. "Er hatte auch einen Partner, der mit ihm zusammenlebte. Es war zwar illegal, aber trotzdem waren die Menschen in Tel Aviv recht offen. Jeder wusste davon", sagt Tourguide Omer.
In dem selben Haus lebte auch die erste offene Transgender-Frau Israels. Rina Natan wurde in einem männlichen Körper geboren, lebte aber in den 50er-Jahren auf der Allenby und kleidete sich als Frau. Später wollte sie eine geschlechtsangleichende Operation durchführen lassen, aber die Ärzte verweigerten ihr diesen Wunsch. "Sie zog vor Gericht, aber ihr Anliegen wurde abgelehnt", sagt Omer. "Dann hat sie eines Tages selbst angefangen ihr männliches Geschlechtsteil abzuschneiden. Als sie blutend ins Krankenhaus kam, mussten die Ärzte es zu Ende führen."
Einzige Gay-Bar Tel Avivs
Weiter geht es in die Straße Nahalat Binjamin. Dort befindet sich die Gay-Bar "Shpagat" - eine von Hunderten, könnte man meinen. Aber nein, "Shpagat" war bis vor einem Monat noch die einzige Schwulen-Bar in Tel Aviv. "Es liegt wohl daran, dass man in Tel Aviv keine speziellen LGBTQ-Bars braucht", sagt Omer. "Ich kann mich mit meinem männlichen Date überall treffen. Ich fühle mich überall willkommen, in jedem Café und jeder Bar. Aber es gibt in Tel Aviv extrem viele Gay-Partys."
Und damit führt Omer die Gruppe eine Station weiter auf den sogenannten Magen-David-Platz (Davidstern-Platz). Er wird von den Menschen in Tel Aviv so genannt, weil hier sechs Straßen aufeinander treffen, wie die sechs Ecken eines Davidsterns. "Ihr fragt euch bestimmt, warum ich euch auf einen Parkplatz führe", sagt Omer. "Hier stand früher der Nachtclub 'Haoman 17', in dem 1991 die erste Schwulen-Party gefeiert wurde."
Die besten Partys sind die Schwulen-Partys
Der Produzent Uri Stark hatte durch Reisen nach London und New York erkannt, dass die Schwulen-Szene die besten Partys feierte und wollte das Konzept in Israel umsetzen. Der Besitzer des Clubs "Haoman 17" stimmte irgendwann zu und die erste schwule Partyreihe Israels war geboren. Der DJ, der bei diesen Partys für Musik sorgte, war Offer Nissim. Und hier schließt sich der ESC-Kreis: Nissim ist der Entdecker von Dana International - der israelischen ESC-Gewinnerin von 1998 in Birmingham. Offer Nissim produziert noch heute die größten LGBTQ-Partys in Tel Aviv im Kongresszentrum, wo dieses Jahr der ESC stattfindet.
Auch Tourguide Omer hat im "Haoman 17" seine ersten Erfahrungen mit der Schwulen-Szene gemacht: "In den 90ern gab es noch kein Internet und man war nicht so verbunden wie heute. Ich kannte keine anderen schwulen Männer und wusste nicht, wie man sie kennenlernen sollte." Er erzählt von Kontaktanzeigen in Zeitungen und wie er von einem Münztelefon aus anrief, um nicht von den Eltern erwischt zu werden. Ein Bekannter, den er dadurch kennenlernte, nahm ihn zum ersten Mal mit den Club. "Das war eine ganz neue Welt für mich."
"Ich mache gerne so Touren", sagt Markus aus der Schweiz. "So lernt man auch den Alltag der Leute kennen und nicht nur die üblichen Sehenswürdigkeiten."
Das erste LGBTQ-Event
Die vorletzte Station auf der "Pride History Tour" ist der Shenkin Park. Heute ist die Shenkin die Tel Aviver Einkaufsstraße mit chicen Boutiquen und hohen Mieten. Das sah in den 90er-Jahren noch anders aus. "Damals war die Straße heruntergekommen und keiner wollte hier leben. Die Stadt hat Studenten und Künstlern Geld gegeben, damit sie hier wohnen und die Straße wieder lebendig machen. Dadurch wurde sie schnell zur populärsten Straße der Stadt", erklärt Omer. "Und auch die Schwulen kamen hierher." Neben der Straße befindet sich der kleine Shenkin Park. Er besteht aus einem kleinen Spielplatz, ein bisschen Grünfläche und ein paar Bäumchen. Aber hier fand 1993 das erste öffentliche LGBTQ-Event statt. Die Stadt hatte einen großen Schrank aufgestellt und Menschen konnten so erneut "aus dem Schrank kommen". Auf Hebräisch ist das wie auf Englisch der Ausdruck für "sich outen".
"Tatsächlich gab es aber bereits 1979 eine große schwule Demonstration auf dem Rabin-Platz", erzählt Omer. "Amerikanische schwule Juden haben hier eine Konferenz abgehalten und haben spontan eine Demonstration gestartet. Und das, obwohl es immer noch illegal war damals."
Das Schwulen-Zentrum von Tel Aviv
Die Tour endet am heutigen LGBTQ-Center im Meir Park direkt an der belebten King-George-Straße. Hier gibt es ein Café, ein Theater und eine Klinik. "Dann muss keiner Angst haben, von einem homophoben Arzt behandelt zu werden und man fühlt sich freier über Probleme zu reden", findet Omer. Neben dem Center steht ein rosa Denkmal, das an ein zerbrochenes Dreieck erinnert. "Das ist ein Denkmal für die Menschen, die wegen ihrer Homosexualität im Holocaust ermordet wurden", sagt Omer. Die Form erinnert an die Kennzeichen, die schwule Männer in Konzentrationslagern tragen mussten - ein rosa Dreieck.
Auch wenn Tel Aviv eine offene Stadt ist und die LGBTQ-Gemeinde sich willkommen fühlt, gibt es immer noch Rechte, um die sie kämpfen müssen. Unter anderem die gleichgeschlechtliche Ehe. "Weil immer jüdisch-orthodoxe Parteien im Parlament sitzen, wird es immer abgelehnt", sagt Omer. "Dabei sind rund 70 Prozent der israelischen Bevölkerung für die gleichgeschlechtliche Ehe." Auch in der LGBTQ-Hauptstadt geht also der Kampf um Gleichberechtigung weiter.