Sam Ryder auf dem Türkisen Teppich am Palast von Venaria Reale. © NDR Foto: Claudia Timmann

Sam Ryder: "Der ESC ist in der bestmöglichen Weise verrückt"

Stand: 27.05.2022 12:20 Uhr

Nach vielen Jahren voller schlechter Ergebnisse holte Sam Ryder für Großbritannien (UK) mit "Space Man" einen sehr guten zweiten Platz beim ESC 2022. Im Podcast "ESC Update" (25. Juni) spricht er über seine Zeit in Turin.

von Marcel Stober

Sam Ryder, der ganze ESC-Wahnsinn ist wahrscheinlich immer noch sehr präsent für dich. Wie war es, dieses Jahr in Turin anzutreten?

Sam Ryder: Das ist schwierig zu beantworten. Es war einfach so viel Energie, es war so wild. Jeder, der schon beim ESC mitgemacht hat, hat mir gesagt, dass es so wild wird, dass du es vorher gar nicht richtig einschätzen kannst. Und dann kommst du da an und realisierst, dass sie zu 100 Prozent nicht übertrieben haben. Und Leute übertreiben immer - vor allem in der Musikindustrie. Aber niemand kann beim ESC übertreiben, weil es so verrückt ist, in der bestmöglichen Art und Weise. Es ist unglaublich und eine der schönsten und lohnendsten Erfahrungen in meinem Leben.

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Ein Herz vor einem Sternenhimmel. © istockphoto Foto: kevron2001

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Musstest du denn die ganze Zeit proben, essen, schlafen, wieder proben - oder hattest du Zeit, etwas von Turin und von Italien zu sehen?

Sam Ryder: Ich habe die Arena gesehen! Ich konnte in Turin einmal etwas anderes machen. Ich glaube, wir hatten einen halben freien Tag. Wir sind für eine kurze Zeit mit einem Boot gefahren, dann aber wieder zurück nach Turin gekommen, haben eine Pizza gegessen und sind sofort wieder ins Hotel gefahren. Das war unser freier Tag.

Aber es war trotzdem großartig, weil du so einen freien Tag fast gar nicht brauchst. Du lebst dieses unglaubliche Ereignis. Es ist ja nicht so, als wärst du irgendwo, wo du nicht sein möchtest. Auch in der Arena zu sein und die anderen unglaublichen Künstler und ihre Teams kennenzulernen, mit ihnen abzuhängen und sich anzufreunden, an der Show zu arbeiten - all das sind Dinge, die du liebst. Da willst du im Grunde keinen freien Tag.

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Wo wir über die anderen Künstler reden - mit wem bist du gut klargekommen, mit wem konntest du dich anfreunden?

Sam Ryder: Bei den Prepartys und während des ganzen Vorlaufs zum ESC hatte ich mehr freie Zeit, um andere Sänger und Performer besser kennenzulernen. Denn als ich erst in Turin war, lief vieles nach einem Terminplan ab. Auch die Zeit, zu der ich in der Arena gewesen bin, war ganz genau geplant. Ich war zu ähnlichen Zeiten da wie Italien und Spanien. Meine Proben lagen zwischen deren, man konnte sich also immer gut begegnen und "Hallo" sagen. Jeder Act hatte zu verschiedenen Zeiten Einzelproben, also konnte man sich nur selten sehen - bis dann die Proben für die kompletten Shows begonnen haben. Da haben zum Beispiel Cornelia [Jakobs, Anm. d. Red.] aus Schweden und ich uns öfter gesehen - an den wirklichen Showtagen.

Konntest du auch Deutschlands Act Malik Harris treffen?

Sam Ryder (Großbritannien) feiert mit seiner Delegation im Greenroom in der Halle in Turin. © eurovision.tv/EBU Foto: Corinne Cumming
Die britische Delegation rund um Sam Ryder fiebert im Greenroom auch für die anderen Künstler mit.

Sam Ryder: Ja, das konnte ich. Was für ein fantastischer Typ! Ich weiß nicht, ob man es im Fernsehbild gesehen hat, aber wir haben uns die Seele aus dem Leib geschrien, als diese sechs Punkte von den Zuschauern verkündet wurden. Wir sagten nur: "Was soll das?" Denn er ist so talentiert und so lieb und niemand verdient es, bei irgendetwas so komplett vergessen zu werden. Das muss weh tun. Mit dem Talent hat er das nicht verdient.

Das Vereinigte Königreich war viele Jahre lang sehr unerfolgreich beim ESC. Welchen Ratschlag könntest du anderen Ländern geben, wie Deutschland, um wieder nach oben zu kommen?

Sam Ryder: Das ist so eine gute Frage, weil Malik super war. Ein fantastischer Künstler und es hat so ausgesehen, als ob er jeden Moment, den er dort verbracht hat, geliebt hat. Jedes Mal, wenn ich Malik gesehen habe, hatte er ein Lächeln im Gesicht. Er hatte eine gute Energie. Also, wer weiß? Ich habe keine Ahnung, und das irritiert mich tatsächlich sehr, weil ich es dir nicht beantworten kann.

Es war ein toller Song. Er hatte ein sehr ehrliches Staging. Es war einfach er in seinem Studio zu Hause - nachgebaut auf der ESC-Bühne vor 200 Millionen Menschen. Und man sah ihn arbeiten, so wie er es normalerweise tut, wenn niemand zuschaut. Und dieses Gefühl, das dabei rüberkam, hab ich gemocht. Die Arbeit ist immer noch die Arbeit, egal ob jemand zuschaut, darin liegt etwas sehr Cooles.

Für viele warst du einer der Favoriten auf den Sieg beim Eurovision Song Contest. Hattest du das im Kopf, als du auf die Bühne gegangen bist oder konntest du das total von dir wegschieben?

Sam Ryder: Ich glaube, als Künster, der aus dem UK kommt, musst du sehr selbstsicher sein. (lacht) Es ist nicht so, dass du dorthin kommst und sagst: "Ja, ich kann ganz gut abschneiden." Das war nie in den Köpfen von mir oder meinem Team, dass wir auf einen bestimmten Platz auf dem Scoreboard kommen können. Ich habe mich nur aufs Singen konzentriert - und darauf im Vorfeld einen guten Job zu machen und mich und mein Land gut zu präsentieren. Was in den letzten drei Minuten der Show und auf dem Scoreboard passiert, war absolut nicht das, was ich im Blick hatte.

Wie sehen Leute aus dem Vereinigten Königreich auf den ESC? Was ist das Image der Show in deinem Land?

Der Sänger James Newman auf der Bühne vom ESC © EBU Foto: Andreas Putting
James Newman holte 2021 für Großbritannien (UK) noch null Punkte. Viele meinten, weil Europa das UK nicht mag.

Sam Ryder: Vorher hatten viele Leute den Eindruck, dass Europa das UK nicht mag. Und ich bin seit einer langen Zeit ESC-Fan, also teile ich die Antwort der Fan-Community, die sagt, das ist großer Blödsinn. Es ist nicht wahr. Denn ich weiß aus meiner Erfahrung und aus der von vielen meiner Freunde, dass der Rest Europas nichts als Liebe, Offenheit und Freundlichkeit für das UK empfindet.

Und wenn wir uns selbst erzählen, dass uns keiner mag, ist das nur ein negatives Gedankenmuster, dass wir immer und immer wieder wiederholen, bis es zur Gewohnheit wird, dass wir das zu uns und unseren Freunden im Small Talk sagen. Genauso wie wir uns über das Wetter beschweren. Also der größte Erfolg in dieser ganzen Erfahrung ist es, diese Negativität wegzuhauen. Das ist schöner als jedes Scoreboard.

Glaubst du, du hast die Art und Weise, wie Leute im UK auf den ESC schauen, verändert?

Sam Ryder: Ich hoffe, wir haben ein bisschen was dazu beigetragen. Oder wenigstens eine Diskussion in Gang gesetzt. Denn es scheint mit Blick auf unsere Teilnahme im nächsten Jahr jetzt schon eine andere Art der Aufregung zu geben. Und ich weiß, dass hinter den Kulissen, bei Plattenfirmen und so weiter, eine andere Art von Interesse herrscht, die vorher nicht da war. Im Grunde genommen konnte ich einfach so in diesen Wettbewerb hineinlaufen, weil niemand darum gekämpft hat.

Stell dir vor: In Schweden, wenn Cornelia sich sagt: "Ich habe Lust auf den ESC", dann muss sie gegen eine Menge unterschiedlicher Leute antreten, denn die lieben es. Da sind so viele Leute, die alles tun für diese Chance, Schweden zu vertreten. Und die realisieren, wie großartig der ESC und wie toll diese Institution ist. Im UK hatten wir diese Haltung und den Respekt davor nicht, also war es grundsätzlich sehr einfach, für jemanden dort ausgewählt zu werden. Aber wir wollen nicht, dass es so ist. Wir wollen, dass da ein Hype um einen Act entsteht, der uns repräsentiert. Und da freue ich mich sehr darauf.

Was glaubst du, wie geht es jetzt im UK weiter?

Sam Ryder (Großbritannien) läuft mit der Landesflagge über die Bühne in Turin. © eurovision.tv/EBU Foto: Corinne Cumming
Sam Ryder hofft, dass sein Ergebnis beim ESC in Großbritannien (UK) für ein Umdenken sorgt.

Sam Ryder: Als jemand, der weiß, wie die Stimmung gegenüber dem ESC gewesen ist, kann ich sagen: Ich hoffe, dass es im nächsten Jahr, wenn es eine gewisse Form von Aufmerksamkeit gibt, diese dann Leute herausfiltert, die das Event nur benutzen wollen, anstelle es zu genießen. Ergibt das Sinn? Immer wenn etwas beliebt wird, gibt es Leute, die es nur benutzen wollen, aber die es nicht respektieren. Und ich hoffe wirklich, dass es ein Act wird, der den ESC liebt. Denn es gibt so viele Leute hier, die das tun, und die durch so viele Jahre des Schmerzes gehen mussten und Leute ertragen mussten, die sagten: "Es ist Müll, ihr werdet niemals gewinnen". Und ich hoffe, dass diese Leute, die seit Jahren dabei sind, dann die erste Chance bekommen.

Weil du schon angesprochen hast, dass du auch ein großer ESC-Fan bist: Was ist dein Lieblings-ESC-Song der letzten Jahre?

Sam Ryder: Mein Favorit ist Lordi - "Hard Rock Hallelujah". Es liegt nicht nur am Song, nicht nur an der Inszenierung, aber es [Athen 2006, Anm. d. Red] war ein wichtiges Jahr für mich. Ich habe gerade E-Gitarre gelernt, und es war so inspirierend, so eine Band dort zu sehen. Und ich kann mich so lebhaft daran erinnern, den ESC mit meiner Familie gesehen zu haben.

Deine Karriere begann damit, dass du bei TikTok Songs von der Band Queen performt hast - nun wirst du vor einer Queen performen. Du trittst beim Thronjubiläum von Queen Elizabeth II im Buckingham Palace auf. Macht dich das nervöser als der ESC?

Sam Ryder: Nein, ich fühle mich nicht nervös, denn das ist auch eine Sache, die mich der ESC gelehrt hat. Ich habe mich während des ESC niemals nervös gefühlt, und zwar, weil ich einfach nichts im Internet gelesen habe.

Ist es so einfach?

Sam Ryder: Ja, ich habe keinerlei Kommentare gelesen. Offensichtlich wusste ich ein bisschen was, weil ich ja viele Interviews gegeben habe und Leute mir Dinge erzählt haben, aber ich habe mich durch keine Foren oder Kommentarspalten gescrollt. Und so kannst du deinen Fokus behalten. Es ist ein großartiger Weg, Druck zu stoppen, Nerven zu sparen, und zu verhindern, dass Angst deine Gedanken übernimmt. Also mache ich genau das gleiche in Zukunft. Ich erinnere mich daran, dass es um das Singen geht und bin dankbar. Nicht jeder hat die Chance, vor der Queen zu singen - in so einem historischen Moment wie diesem. Ich will mich darauf besinnen, was für ein unglaubliches Glück ich habe.

Was sind nach diesem Konzert deine Pläne für dieses Jahr?

Sam Ryder: Ich habe viele Touren und Festivals vor der Brust. Das wird ein großer Spaß. Ich will aber nicht so viele Pläne machen, denn all die großartigen Dinge, die bis jetzt passiert sind, waren nie geplant. Es passiert einfach. Ich vertraue darauf, dass ich auf dem richtigen Weg bin und dass gute Dinge passieren und alles, worauf ich mich konzentrieren muss, ist dann weiter glücklich und dankbar dafür zu sein.

Sam Ryder, vielen Dank für das Gespräch.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Blue | ESC Update | 25.06.2022 | 19:05 Uhr

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