Kandidaten stellen sehr persönliche Songs vor
Zweieinhalb Tage vor "Unser Lied für Lissabon" - und alle sechs Acts kommen bestens gelaunt zur Pressekonferenz in die TV-Studios in Berlin-Adlershof. Die Details ihrer einzelnen Darbietungen stehen noch nicht alle fest, das betont auch Linda Zervakis, Tagesschau-Sprecherin und Donnerstagabend erstmals Moderatorin der deutschen Vorentscheidung um das Ticket zum ESC im Mai - ihr Kompagnon, Elton, ist nicht zugegen, er ist beim T-Shirt-Kauf aufgehalten worden.
Mal mehr, mal weniger routiniert
Xavier Darcy aus München ist der Erste, der sich präsentiert: Sein Lied "Jonah" ist eine rockbasierte, vom finnischen ESC-Sänger Paradise Oskar mitverfasste Nummer. Sein Lied, so der mit Kirchenmusik aufgewachsene Spross aus französisch-englischem Elternhaus, werde auf der Bühne "Spiegel und Licht" zeigen. Der 22-Jährige wirkt ausgesprochen lampenfiebrig, aber das ist auch kein Wunder: Bislang, räumt er ein, trat er nur in "abgefuckten Clubs in Süddeutschland auf". Das sei nun anders: Beifall für einen Newcomer.
Die fünf jungen, bis auf einen, durch die Bank echt blonden Männer von voXXclub sind in dieser Hinsicht wesentlich routinierter, Stimmungskanonen, die den einzigen deutschsprachigen Beitrag präsentieren, und das mit bayerischem Flair. Zu Beginn der Pressekonferenz verteilen sie Lebkuchenherzen, auf diesen der Titel ihres Liedes "I mog di so" aufgezuckert. Sie sagen: "Wir stehen für eine Welt, in der ein jeder eine Heimat hat" und betonen, dass der ESC zur Verständigung unter Menschen beitragen werde. Ihre Musik ist der flotteste, modernste und zugleich traditionellste Beitrag aus deutschen Landen - sie werden ihre Fanbase mobilisieren können.
Die Musiklaufbahn krönen
Ivy Quainoo, erste "The Voice of Germany"-Gewinnerin, die erfolgreichste, kommt gerade aus New York zurück, von der Schauspielausbildung - und lebt wieder in Berlin. Ihr Lied "House On Fire" erinnert in ihrer kraftvollen Interpretation fern an Alicia Keys' "Girl On Fire". Die in Berlins schönem Neukölln aufgewachsene Sängerin mit dieser gewissen Magie in der Stimme würde sich extrem über einen Sieg am Donnerstag freuen: Der ESC, so Quainoo in pinkfarbenen, mit Nieten bestickten Halbhochstiefeletten, "ist eine Veranstaltung, die größer ist als alles, was ich bisher kannte. Ich möchte es schaffen, dabei zu sein."
Ryk aus Hannover hat vielleicht die am besten ausgebildete Stimme, er hat sich an der Musikhochschule Hannover qualifiziert. "You And I" sei sein bislang persönlichstes, innigstes und wichtigstes Lied. Für ihn, der den ESC seit vielen Jahren in allen Facetten studiert und sozusagen einatmet, wäre eine Teilnahme in Lissabon die Krönung seiner bisherigen Laufbahn. Auch er zeigt sich auf der Pressekonferenz - mit einem Touch von Lampenfieber - vor den Medienleuten, aber dies mit prima Laune.
Einen guten Platz belegen
Natia Todua, aktuelle "The Voice of Germany"-Gewinnerin, hat die interessanteste Stimme, trägt Dreadlocks und hat in Deutschland das Singen gelernt. Ihr Song "My Own Way", so die gebürtige Georgierin, sei ein "Dank an Deutschland", den sie zurückgeben wolle - sie hofft, mit ihrer Nummer, "jazzy und bluesy", zu gewinnen: "Ich glaube an diese Musikstile, sie sind ein bisschen oldschool, aber für meine Empfindungen passen sie perfekt."
Last but not least: Michael Schulte aus dem nördlichsten Teil der Republik, fast an der Grenze zu Dänemark groß geworden, jetzt in Buxtehude bei Hamburg lebend. Er widmet sein "You Let Me Walk Alone" seinem vor 13 Jahren verstorbenen Vater - es ist eine gefühlvolle, sehr stimmige Komposition, die von Schulte kongenial interpretiert wird. Er hat, so gibt er Auskunft, schon immer Interesse am ESC gehabt, viele seiner Fans wünschten von ihm, dass er doch mal mitmache. Und das tut er jetzt: "Ich wünsche mir das sehr und bin überzeugt, dass es in Lissabon auf jeden Fall ein viel besserer Platz als zuletzt werden wird."