"Russian Woman": Russland schickt Folk und Rap zum ESC
Der russische Sender Channel One hat seine Pläne für den ESC lange geheim gehalten. Erst eine Woche vor der Sendung wurde überhaupt bekannt, dass Russland zum ersten Mal seit 2012 einen Vorentscheid veranstaltet. Zwar bot "Nazionalnij otbor" ("Nationale Auswahl") nur einen recht einfallslosen Sendungstitel, dafür aber drei sehr unterschiedliche Acts, aus denen die Zuschauer per Televote ihren Favoriten wählen konnten. Dass eine der populärsten Gruppen des Landes, Little Big, die Russland beim ESC 2020 vertreten sollten, gar nicht zur Wahl stand, wurde auch erst während der Show klar. Mit dem Song "Uno" habe man schon das erfolgreichste YouTube-Video überhaupt auf dem ESC-Channel geliefert - jetzt sei es an der Zeit für andere talentierte Künstler des Landes, ihre Chance auf den ESC zu nutzen, heißt es von der Band. Am Ende nutzte diese Chance Manizha, die mit "Russian Woman" in Rotterdam einen neunten Platz erzielte.
Manizha mit einem Song über moderne Frauen
Manizha Dalerovna Sangin wurde am 8. Juli 1991 im heutigen Tadschikistan geboren. Nur zwei Jahre später floh ihre Familie vor dem Bürgerkrieg im Land nach Moskau. Mit zwölf Jahren begann Manizha das Singen und war anschließend Mitglied in einigen Bands - heute ist sie als Solokünstlerin unterwegs. Sie studierte Gospelmusik in London und New York City. Seit 2020 ist Manizha UN-Botschafterin des guten Willens für Flüchtlinge. Ihr ESC-Song "Russian Woman" ist ein Rapsong mit ironischen Einschüben von sehr alter, typisch russischer Folklore-Musik. Sie singt über die Entwicklung der russischen Frau von einer einfachen Arbeiterin ohne Wahlrecht hin zu einer unabhängigen selbstbewussten Persönlichkeit. Das Thema Frauenrechte liegt ihr am Herzen - und ihrer Meinung nach auch in den Genen. Ihre Ur-Großmutter war eine der ersten Frauen in Tadschikistan, die ihren Schleier nicht mehr tragen und arbeiten wollte, woraufhin man ihr ihre Kinder zeitweise wegnahm. Sie ist heute noch ein Vorbild für Manizha.
Russisches Fernsehen im Zeichen des Weltfrauentages
Passenderweise, so sagt Manizha, habe sie den Song am Weltfrauentag 2020 geschrieben - und exakt ein Jahr später, am 8. März 2021, damit den russischen Vorentscheid gewonnen. Auch rund um den Vorentscheid ging es im russischen Fernsehen um den Feiertag. Die Hauptnachrichtensendung, die der Sender zwischen Vorentscheid und Verkündung einschob, begann mit einem Bericht, in dem Frauen Tulpen überreicht wurden. Danach wendete sich Präsident Vladimir Putin in einer mehrminütigen Ansprache zum Thema ans Volk. Direkt im Anschluss an den Vorentscheid sendete Channel One den Film "Pretty Woman".
Wiedersehen mit Polina Gagarina und Dima Bilan
Für eine weitere Frau war am Weltfrauentag aber leider keine Zeit mehr. Zwar war Moldaus ESC-Kandidatin Natalia Gordienko unter den anwesenden Ehrengästen, durfte aber weder etwas sagen noch ihren Wettbewerbssong "Sugar" vorstellen. Stattdessen performte ihr Komponist, der extravagante und in Russland sehr bekannte Philipp Kirkorov, seinen 1995er-ESC-Titel "Kobelnaya vulkanu" in einer Disco-Version. Außerdem sang Polina Gararina ihren ESC-Song "A Million Voices" von 2015 mit russischem Text und Dima Bilan trat noch einmal mit seinem Siegertitel von 2008, "Believe", auf.