Let 3, Kroatiens ESC-Act 2023 © EBU Foto: HRT

"Mama ŠČ!" - Was Kroatiens ESC-Beitrag bedeuten soll

Stand: 15.02.2023 10:14 Uhr

Ein durchgeknallter Spaßbeitrag - oder ein hochpolitischer, brisanter Auftritt? Am kroatischen "Mama ŠČ!" von Let 3 scheiden sich die Geister. Was will die Band mit den vermeintlich simplen Lyrics sagen?

von Marcel Stober

Bei Auftritten der kroatischen Band Let 3 weiß man nie genau, wie sie enden. Gegründet wurde die Gruppe 1987 in Rijeka. Schnell waren sie als Provokateure verschrien. Gerne punktet die Band mit Obszönität, Nacktheit oder auch mal einem inszenierten Selbstmord. 2006 wurde die Band nach einem Auftritt, bei dem die Mitglieder nichts anhatten als einen Korken im Hintern, sogar mit einer Geldstrafe belegt. Let 3 mögen es politisch und gehen unter die Gürtellinie. Das letzte, 2016 veröffentlichte, Album der Gruppe heißt "Angela Merkel sere" ("Angela Merkel kackt"). Nun treten Let 3 beim ESC 2023 in Liverpool an. Mit einem Song, der zwar keine fäkalen Lyrics enthält, aber dennoch einige Diskussionen anstößt. Denn im kroatischen Vorentscheid erinnerte ihr Auftritt an eine Militär-Dragshow inklusive Atomraketen aus Pappmaché. Was will die Band mit dem Text von "Mama ŠČ!" sagen: Kriegsverherrlichung - oder Anti-Kriegs-Ästhetik?

Der Songtitel "Mama ŠČ!" als Metapher für Russland

Nur knapp drei Tage nach dem Vorentscheid wurde das Auftrittsvideo zu "Mama ŠČ!" das meistgeklickte aller Videos auf dem YouTube-Kanal des kroatischen Vorentscheids "Dora". In der Show gewannen Let 3 sowohl das Jury- als auch mit überragender Mehrheit das Televoting. Die Band hat selbst schon eingeräumt, dass es in dem Song um Putin und Russland geht. "Mama" im Titel ist eine Anspielung auf die bekannteste Personifikation des Landes: "Mütterchen Russland". Im Song heißt es "Mama ljubila morona" ("Mutter liebte einen Trottel"). Hiermit ist dann Putin gemeint. "ŠČ" (gesprochen etwa "schtsche") wird während des Songs immer als Ausruf genutzt und ist kein Wort oder Buchstabe des Kroatischen. Im kyrillischen Alphabet allerdings existiert diese Lautfolge als ein Buchstabe ("Щ"), auch das ist eine Anspielung auf Russland. Allerdings ist dieser Buchstabe neben Russland auch noch in anderen Ländern verbreitet.

Der Auftritt: Zwei Diktatoren auf der Bühne

Der Song "Mama ŠČ!" ist aber nicht nur eine Kritik an Russland. Vielmehr geht es um alle Diktatoren, die die Welt als ihr Spielzeug betrachten. Putin ist nur ein aktuelles Beispiel. Sänger Zoran Prodanović erinnert mit seinem dichten Schnauzbart an Joseph Stalin. Im Laufe des Songs kommt der Schauspieler Žanil Tataj mit zwei nachgebauten Atomraketen auf die Bühne, die anfangen Funken zu sprühen. Auf seiner Stirn steht das Wort "Njinle", ein Anagram für die kroatische Schreibweise von Lenin, "Lenjin". Der Leiter der kroatischen Delegation, Tomislav Štengl, ahnt schon, dass die BBC den Auftritt für den ESC wahrscheinlich entschärfen wird und denkt dabei konkret etwa an die Atomraketen. Er habe allerdings schon oft mit den Bandmitgliedern zusammengearbeitet und glaube, dass man sich schnell einig werde. Die Europäische Rundfunkunion (EBU) hat mit einiger Verzögerung Let 3 als kroatische Starter für den ESC offiziell bekannt gegeben. Beim ESC sind politische Texte ja verboten, allerdings enthält "Mama ŠČ!" eben keine direkten politischen Aussagen. Man muss sie alle interpretieren.

Der Traktor ein Symbol für Belarus?

Ein Traktor der Marke "Belarus". © Russian Look Foto: Maksim Konstantinov
Traktoren der Marke "Belarus" sind auch in Russland verbreitet.

"Mama kupila traktora" ("Mutter kaufte einen Traktor") ist der erste Satz des Songs - und der Traktor das wiederkehrende Element des Titels. Rund um seine Bedeutung ranken sich die meisten Theorien. Die wahrscheinlichste ist, dass der Traktor auf die Beziehung zwischen Russland und Belarus anspielen soll. Ein bekannter, bis heute hergestellter Traktor, trägt nämlich den Markennamen "Belarus". Im übertragenen Sinne hat Mütterchen Russland Belarus gekauft - also Putin Machthaber Lukaschenko bestochen. Zu Putins 70. Geburtstag im Oktober 2022 schenkte ihm Lukaschenko sogar tatsächlich einen Gutschein für einen Traktor. Laut Song sind ohnehin beide nicht ganz dicht: "Onaj mali psihopat / Mali podli psihopat" ("Jener kleine Psychopat / Kleiner gemeiner Psychopat").

Serbische Kritik am Traktor

Der Traktor muss allerdings nicht zwangsläufig für Belarus stehen. Schon zu Beginn des Krieges in der Ukraine gingen Bilder um die Welt, in denen ukrainische Bauern mit ihren Traktoren russische Panzer verschleppten. Auch deshalb könnte Mütterchen Russland jetzt selbst Traktoren gut gebrauchen. Aus Serbien werden allerdings Stimmen laut, die sich schmerzhaft ans Jahr 1995 erinnern. In der "Operation Sturm" überrante die kroatische Armee in nur wenigen Tagen bis dahin serbisch besetzte Gebiete im Land. Zehntausende kroatische Serben mussten fliehen - viele von ihnen auf Traktoren und Anhängern. Auf einem Traktor inklusive Anhänger ist auch die Band Let 3 zum kroatischen Vorentscheid angereist, der in Opatija stattfand, nur wenige Kilometer von ihrer Heimatstadt Rijeka entfernt. Rijeka ist allerdings auch Karnevalshochburg in Kroatien. Traktoren mit Anhängern sind bei den vielen Umzügen keine Seltenheit. Let-3-Mitglied Damir Martinović hob hervor, dass ihr Traktor sogar elektrisch und umweltfreundlich sei. Mit ihm wollen sie auch in Liverpool unterwegs sein: "Davor üben wir natürlich das Fahren auf der anderen Seite".

Weitere Informationen
Let 3 auf der Bühne in Liverpool. © EBU Foto: Corinne Cumming

Let 3: Kroatiens ESC-Hoffnung für 2023

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Dieses Thema im Programm:

NDR Blue | ESC Update | 25.02.2023 | 19:05 Uhr

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