Estnische Exzentrik
Schon seit einigen Jahren gilt die estnische Vorentscheidung Eesti Laul bei den Freunden ungewöhnlichen Liedguts als absolute Pflichtveranstaltung, denn bei kaum einer anderen Vorentscheidung prallen so unterschiedliche Musikstile aufeinander. Und ebenso selten wird bei anderen Vorentscheiden so großer Wert auf ein stylishes Sendungsdesign gelegt, was einen spannenden Kontrast zu der klassischen Saalkonfiguration der Nokia Music Hall in Tallinn setzt. Ein beachtlicher kreativer Output für das kleine Land, das sich beim ESC seit einigen Jahren verstärkt auf seine kulturellen Wurzeln besinnt und auch in diesem Jahr wieder mehrheitlich estnischsprachige Titel ins Rennen um die Fahrkarte nach Kopenhagen schickte. Selbst die Einspielfilmchen zeugten von großem Bewusstsein für das kulturelle Erbe und riefen den Zuschauern populäre estnische Sprichwörter ("Eine alte Reuse ist mehr als eine neue Flinte") mit Knetfiguren und bitterbösem Humor in Erinnerung.
Choreografie schlägt musikalischen Anspruch
Auffällig war der Trend zu Country-und-Western-Klängen, der sich ja auch in Malta durchsetzen konnte - Texas Lightning waren ihrer Zeit offenbar um einige Jahre voraus. Anders als in den beiden Vorjahren schafften dann am Ende des Abends zwei englischsprachige Beiträge den Sprung ins Superfinale. Dabei schien der Ausgang der Entscheidung bereits ausgemacht zu sein, denn die Super Hot Cosmos Blues Band hatte bei der Fachjury, in der auch Getter Jaani saß, deutlich bessere Karten und sicherlich auch den Song mit dem größten musikalischen Anspruch. Doch die populäre russisch-estnische Sängerin Tanja Mihhailova brachte tänzerische Fähigkeiten mit, die ihr die Herzen des Publikums zufliegen ließen: Mit choreografischen Kunststücken von kaukasischen Ausmaßen führte sie ihre ansonsten eher durchschnittliche Dance-Nummer "Amazing" unter großem Publikumsbeifall zum Sieg. Je nachdem, wie sich das Konkurrenzumfeld des ersten Semis noch entwickelt, könnte das in Kopenhagen nicht ganz so einfach werden.