Espresso, Auto und Ronaldo: Die ESC-Stadt Turin
Turin hatte schon Erfahrungen gesammelt, wie man sich für internationale Großereignisse bewirbt - lange bevor man den Zuschlag für den Eurovision Song Contest 2022 bekommen hat.
2006 fanden in der norditalienischen Stadt die 20. Olympischen Winterspiele statt. Das Pala alpitour, in dem 2022 der ESC ausgetragen wird, wurde damals extra für die Eishockey-Wettkämpfe gebaut und ist mit einem Fassungsvermögen von etwa 15.000 Zuschauern die größte Sporthalle Italiens. Turin ist die Hauptstadt der Region Piemont, was so viel bedeutet wie "am Fuß der Berge". Und schöne Blicke auf die Alpen bietet die Stadt, die mit mehr als 870.000 Einwohnern die viertgrößte in Italien ist. Bei den Winterspielen 2006 erreichte Deutschland übrigens den ersten Platz im Medaillenspiegel - vielleicht ja ein gutes Omen für den ESC.
Turin bietet zahlreiche Museen und das Grabtuch Jesu
Turin ist noch immer bei vielen als "Industriestadt" verschrien, doch auch kulturell hat die Stadt einiges zu bieten. 1861 wurde sie die erste Hauptstadt des neu gegründeten Königreichs Italien. Im vor über 500 Jahren errichteten Dom wird das Turiner Grabtuch aufbewahrt, in dem einige Gläubige das Tuch erkennen, in dem Jesus nach seiner Kreuzigung begraben worden sein soll. Doch auch abgesehen davon ist Turin reich an Geschichte und beherbergt zahlreiche Museen.
Das Ägyptische Museum etwa ist das älteste ägyptische Museum der Welt und das zweitbedeutendste nach Kairo. Das nationale Filmmuseum findet man in der Mole Antonelliana, einem Pavillonbau, der gleichzeitig das Wahrzeichen der Stadt ist. Hier kann man nicht nur etwa frühe Vorläufer von Filmprojektoren und ganze Filme in besonderer Atmosphäre bewundern. Mit einem gläsernen Aufzug geht es außerdem zu der in 85 Metern Höhe gelegenen Aussichtsplattform. Weitere Museen in Turin findet man etwa in alten königlichen Palästen. Am Ufer des Flusses Po liegt außerdem ein Automobilmuseum mit über 200 Exponaten.
Fiat: Wirtschaftstreiber vergangener Zeiten
Turin war lange das industrielle Zentrum Italiens - und zeitweise eine Millionenstadt. Und ganz ohne Frage: Das Auto hat Turin sehr lange geprägt. Das Automobilmuseum liegt in Lingotto, einem Stadtteil, in dem im 20. Jahrhundert die damals größte und modernste Autofabrik der Welt entstand. Dort baute der 1899 in Turin gegründete Autokonzern Fiat seine Fahrzeuge. Im ausgeschriebenen Namen der Marke, Fabbrica Italiana Automobili Torino, steckt auch der Gründungsort. Direkt auf dem Dach der Fabrik befindet sich eine Rennstrecke, auf der die Autos gleich getestet werden konnten und die auch heute noch besichtigt - wenn auch nicht befahren - werden kann. 1982 wurde das Werk geschlossen, heute ist Italiens Autozentrum eher in den Regionen Modena, wo Ferrari seinen Sitz hat, und Bologna zu Hause. Im ehemaligen Fiat-Gebäude entstand etwa ein Einkaufszentrum, ein Kino und ein Hotel.
Martini und Espresso: Kulinarisches aus Turin
Doch die Vergangenheit Turins als Industriestadt wird nicht nur beim Automobil deutlich. Vieles, das heute überall auf der Welt bekannt ist, hat seinen Ursprung in Turin. So etwa die Kleindung des Sportartikelherstellers Kappa. Auch der bekannte Wermut Martini kommt ursprünglich aus der Region Turin. Der Getränkehersteller Martini & Rossi gehört allerdings mittlerweile zu Bacardi. Turin ist auch Sitz und Gründungsort des Kaffeeherstellers Lavazza. Zusammen mit Mailand gilt Turin als die Wiege des Espresso. Zumindest kam aber das Patent für die erste Expressomaschine vom Turiner Angelo Moriondo. Espresso und Gelato gibt es in Turin natürlich an jeder Ecke, doch auch die Geschmäcker der ganzen Welt findet man in der Stadt. Ganz besonders auf dem Markt an der Porta Palazzo, dem größten Freiluftmarkt Europas.
Das Unglück von "Grande Torino" und der Aufstieg von Juventus
Italien ist aktueller Fußball-Europameister. Klar, dass auch in Turin die Liebe zum Fußball grenzenlos ist. Allerdings musste sie einen großen Schicksalsschlag verkraften. Lange bevor Juventus Turin eine internationale Fußballmarke wurde, war der zweite Verein der Stadt, der FC Turin, das Maß der Dinge. In den 40er-Jahren verlor der Verein, damals als AC Turin, sechs Jahre lang kein Heimspiel. Die Mannschaft wurde als "Grande Torino" bezeichnet und stellte bald einen Großteil der italienischen Nationalmannschaft. Bis ins Jahr 1949 gewann der AC Turin fünf Meistertitel in Serie, ehe nahezu die komplette Mannschaft bei einem Flugzeugunglück am Berg Superga östlich der Stadt ums Leben kam. Danach konnte der Club nicht mehr an die großen Zeiten anknüpfen und spielte zeitweilig in der zweiten Liga. Ortsrivale Juventus sollte wieder zur Nummer eins des italienischen Fußballs werden und ist heute mit 36 Titeln Rekordmeister des Landes. 20 Jahre lang stand hier der bekannte Torhüter Gianluigi Buffon unter Vertrag. Auch Weltfußballer Cristiano Ronaldo spielte drei Jahre für "Juve".
Turin mit symbolträchtiger Lage in Norditalien
Im Oktober 1924 startete in Turin das italienische Fernsehen mit dem Vorgänger der heutigen Rundfunkanstalt Rai. 98 Jahre später kommt mit dem ESC das größte TV-Event Europas in die Stadt - und mit ihm wahrscheinlich zahlreiche Fans. Turin besitzt einen eigenen Flughafen, der viele Inlands- und einige europäische Ziele bedient. Von Deutschland aus kann man von Frankfurt am Main und München direkt nach Turin fliegen. Viele Fans und Delegationen werden auch über den 130 Kilometer entfernten Flughafen Mailand-Malpensa anreisen. Auch mit dem Zug kann man Turin gut erreichen. Die beiden wichtigsten Bahnhöfe Porta Susa und Porta Nuova befinden sich direkt im Stadtzentrum.
Rund 200 Kilometer südlich von Turin liegt Sanremo an der italienischen Riviera. Hier findet das traditionsreiche Musik-Festival statt, das in den 50er-Jahren Vorbild für den ESC war und aus dem bis heute Italiens ESC-Kandidat hervorgeht. Auch bis nach Frankreich und in die Schweiz ist es nicht weit. Die beiden Länder erreichten beim ESC 2021 die Plätze zwei und drei und bekommen nun dank Turin einen ESC zumindest fast vor ihrer Haustür.