Rom, Mailand, Turin? Diskussion um ESC-Austragungsort
Die italienische Band Måneskin hatte gerade den ESC 2021 in Rotterdam gewonnen - da begann in ihrem Heimatland schon der Wettlauf um die Austragung des nächsten Eurovision Song Contests. Gleich zwölf Städte haben bereits öffentlich angekündigt, sich für die Ausrichtung der nächsten Show bewerben zu wollen, sobald die verantwortliche Rundfunkanstalt Rai das Verfahren eröffnet. Klar ist schon jetzt: Die zwei Standorte der bisherigen ESC-Shows auf italienischem Boden kommen nicht infrage. Das für den ESC 1965 genutzte sendereigene Auditorium in Neapel ist viel zu klein. Und der Filmstudio-Komplex Cinecittà in Rom, in dem 1991 ESC-Legende Carola aus Schweden die Show gewann, war schon damals nur zweite Wahl und bot für eine internationale Fernsehsendung nicht die beste Bühne.
Kein ESC Open Air - 10.000 Zuschauer müssen kommen können
UMFRAGE
Die Europäische Rundfunkunion (EBU) stellt heute ganz andere Anforderungen als damals an die ESC-Ausrichtungsorte. So zählt eine gute Erreichbarkeit über einen nahegelegenen internationalen Flughafen dazu, außerdem ein gute Infrastruktur in der Stadt. Die Region sollte genug Hotel-Kapazitäten bieten können, ebenso müssen das Eurovision Village, der Euroclub und die Eröffnungszeremonie auf dem Roten Teppich dort Platz finden. Am wichtigsten bleibt aber die Halle. Natürlich hofft die EBU, sie 2022 wieder voll mit Fans füllen zu können. Voraussetzung für die Städte ist eine überdachte Halle für mindestens 10.000 Zuschauer und Platz für ein Pressezentrum, den Delegationsbereich und den Green Room.
Rom: Die Heimatstadt von Måneskin
Auch wenn der ESC seit Lissabon 2018 nicht mehr in der Hauptstadt eines Landes zu Gast war, ist für viele die erste Assoziation für einen Austragungsort der Show 2022 natürlich Rom. Stefano Coletta, Direktor des Senders Rai 1, gibt auch offen zu, dass er sich bereits Rom als Gastgeberstadt vorstellt, unterstreicht aber auch, wie gut die Rai mit verschiedenen italienischen Städten zusammenarbeite. Allerdings ist Rom nicht nur Hauptstadt, sondern auch Gründungsort von Måneskin und Geburtsort aller vier Bandmitglieder. Doch anders als Duncan Laurence, der den ESC nahe seiner Geburtsstadt in Rotterdam haben wollte, hat sich die Band noch nicht öffentlich für Rom als ESC-Ort ausgesprochen.
Rom geht mit der PalaLottomatica ins Rennen, einer für die Olympischen Sommerspiele 1960 gebauten Sporthalle. Sie ist Teil eines Stadtviertels im Süden von Rom namens EUR, das 1938 von Diktator Benito Mussolini in Auftrag gegeben wurde, um die Weltausstellung (Expo) 1942 in den neuen prunkvollen Teil der Stadt zu holen. Die Expo wurde dann wegen des Zweiten Weltkriegs abgesagt, der Bau unterbrochen. In den 50ern wurde das Planviertel mit anderen Zielsetzungen fertiggestellt und beherbergt heute viele öffentliche Gebäude und höherpreisige Wohnungen.
Turin: Gar nicht so heimlicher Favorit
Turin, Hauptstadt der Region Piemont, ist die viertgrößte Stadt in Italien und punktet vor allem mit einem: ihrer Halle. Die Pala alpitour bietet rund 16.000 Menschen Platz und ist eine der größten Hallen Italiens. Anders als die Hallen in Rom, Mailand oder Bologna liegt sie auch nicht allzu weit außerhalb des Stadtzentrums. Drei Kilometer trennen sie vom Hauptbahnhof Porta Nouva. Von 2021 an finden dort auch die prestigeträchtigen ATP Finals statt - das nach den Grand Slams wichtigste Turnier im Herrentennis. Dennoch kämpft Turin mit seinem Image als Industriestadt - der Autokonzern Fiat etwa hat die Stadt lange geprägt. Doch auch in Turin gibt es Sehenswürdigkeiten und einige Museen. Im Dom wird das Turiner Grabtuch aufbewahrt, das von vielen Gläubigen als Tuch von Jesus von Nazaret verehrt wird.
Turin wäre außerdem fast schon einmal ESC-Stadt geworden: Als Francesco Gabbani 2017 als italienischer Kandidat und großer Favorit zum ESC nach Kiew fuhr, nahm die Rai bereits Gespräche mit der Stadt Turin auf, den ESC 2018 dort auszutragen. Doch Gabbani erreichte lediglich Platz sechs - und die Planungen waren hinfällig.
Mailand punktet mit Infrastruktur, Bologna mit Größe
Die Expo fand auf europäischem Boden zuletzt 2015 in Mailand statt. Die Mode-Metropole will aber nicht mit dem 2005 fertiggestellten neuen Messegelände ins Rennen um den ESC gehen, sondern mit dem Mediolanum Forum - einer Halle für rund 11.000 Zuschauer, in der schon viele Sportereignisse und Konzerte ausgetragen wurden. Ein Stadtrat brachte auch den 1923 eingeweihten Palazzo delle Scintille auf dem alten Mailänder Messegelände ins Spiel. 2021 wurde aus ihm das größte Corona-Impfzentrum Italiens - für eine ESC-Ausrichtung bräuchte er aber eine Renovierung. Die Stadt in Italiens Norden bietet viele Hotels und eine moderne Infrastruktur: Eine Metro-Linie fährt sogar ohne Fahrer.
Außenseiter-Chancen hat auch Bologna. Die Universitätsstadt und Unesco City of Music möchte den ESC in der futuristischen Unipol Arena austragen, die je nach Konfiguration sogar bis zu 20.000 Menschen fasst. Auch wenn bei einem ESC mit großer Bühne wohl etwas weniger hineinpassten: Dass das Fassungsvermögen bei der Entscheidung über einen Austragungsort nicht unwichtig ist, hat man ja etwa beim ESC 2011 im Düsseldorfer Fußballstadion gesehen.
Kooperieren Italien und San Marino beim ESC 2022?
Es ist recht wahrscheinlich, dass der ESC 2022 in einer dieser vier Städte ausgetragen wird. Auch acht andere haben ihren Namen in den Ring geworfen - viele von ihnen verfügen aber über keinen geeigneten Ort. Sanremo etwa möchte den ESC gerne austragen. Doch die 55.000-Einwohner-Stadt an der italienischen Riviera punktet lediglich mit ihrer Geschichte. Schließlich findet dort jährlich das Sanremo-Musikfestival statt, nach dessen Vorbild 1956 der erste ESC ausgerichtet wurde. Eine Halle gibt es nicht. Die RCF-Arena im norditalienischen Reggio nell'Emilia ist mit 100.000 Plätzen zwar die größte Outdoor-Konzertarena Italiens, allerdings fehlt ein Dach. Gleiches gilt für die in der Antike erbaute Arena von Verona. Die Stadt Rimini möchte gerne das nahegelegene San Marino in die Bewerbung miteinbeziehen. Ein ESC in zwei Ländern wäre eine Premiere. Die Hafenstadt Pesaro hat mit der Adriatic Arena eine ausreichend große Halle im Angebot, spielt im internationalen Tourismus bislang aber eher eine untergeordnete Rolle. Auch einen Flughafen und genügend Hotelzimmer gibt es nicht. Bari, Florenz und Neapel haben ebenfalls angekündigt, sich zu bewerben.