Jendrik hat sein Backup-Video gedreht
Es ist ein eigentlich ganz normaler Donnerstag in Vilnius. Hier - wie in ganz Litauen - gilt ein landesweiter Lockdown, der die Verbreitung des Coronavirus eindämmen soll. Ein kleines Team kann allerdings an einem Video arbeiten, das möglicherweise im Mai ganz Europa sieht. Für den Fall, dass ein Act im Mai in Rotterdam nicht live beim ESC auftreten kann, muss jedes Land bis Ende März eine Live-on-Tape-Performance einreichen, die dann beim Song Contest gezeigt wird.
Die deutsche Delegation rund um Künstler Jendrik und Leiterin Alexandra Wolfslast hat sich mit dem Team aus Litauen zusammengetan - um kreative Synergien zu nutzen und Kosten zu sparen. Weitere Delegationen sollen diesem Beispiel folgen und ebenfalls in Litauen drehen. Und so gab es am 4. März in der Avia Solutions Group Arena in Vilnius, einer Eishockey-Halle für über 10.000 Zuschauer, schon einen Hauch Vorab-ESC-Flair. Alexandra Wolfslast war für ein Interview zu dem Dreh in Litauen im Podcast ESC Update zu Gast.
Alexandra Wolfslast, wie kam es eigentlich dazu, dass ihr gerade in Litauen das Auftrittsvideo gedreht habt?
Alexandra Wolfslast: Wir haben das litauische Team durch die Band The Roop kennengelernt, als wir letztes Jahr in der Elbphilharmonie den deutschen ESC veranstaltet haben. Thomas Schreiber und ich waren sehr angetan von der Inszenierung von The Roop und sind dadurch mit Creative Industries zusammengekommen, die nicht nur The Roop managen, sondern auch für alle großen Fernsehshows in Litauen verantwortlich sind - wie zum Beispiel "Sing meinen Song". Die haben dann nach einem Pitch auch den Zuschlag für das Stageing und die Inszenierung bekommen. Und Litauen hat es mehreren Ländern angeboten, diese Inszenierung dann auch in Litauen zu machen. Und das war für uns natürlich eine Win-Win-Situation, weil die unsere Inszenierung schon kannten und es einfach die günstigste Möglichkeit war, das zu machen. In Deutschland war es wahnsinnig schwierig, Studio-Kapazitäten zu bekommen. Und in dieser Größe, wie wir es da machen konnten, mit LED-Screen und so weiter, das wäre hier überhaupt nicht finanzierbar gewesen. Insofern war das eine super Geschichte, natürlich mit großer Nervosität mit Reisen und Corona, aber es hat alles toll gepasst und war definitiv die richtige Entscheidung.
Interessant, was ihr da für eine Lösung gefunden habt. Du hattest ja in ESC Update erzählt, was es für eine Herausforderung ist, bis Ende März ein Video zu produzieren. Wie ist es denn geworden?
Wolfslast: Ich finde, wir können da sehr stolz drauf sein. Ich bin mir relativ sicher, dass wir mit eines der besten Back-up-Videos haben, weil wir das in einem Umfeld produzieren konnten - mit Bühne, mit LED-Screen, mit LED-Floor - wie es, glaube ich, die wenigsten Länder hinbekommen haben, dadurch, dass die Litauer das so wahnsinnig toll umgesetzt haben. Jendrik hat gut abgeliefert, es hat alles geklappt. Ich hoffe zwar nach wie vor, dass es nicht zum Einsatz kommt. Aber wenn, dann kann man damit sehr zufrieden sein.
Ja, hoffentlich kommt dieses tolle Video nie zum Einsatz! Wenn man so ein Video aber aufnimmt, dann hat man ja wahnsinnige Möglichkeiten zu schummeln. Es war die Rede davon, dass die EBU eventuell per Skype zugeschaltet ist. Gab es da Kontrollmechanismen, sodass die Verantwortlichen sehen, dass alles mit rechten Dingen zugeht?
Wolfslast: Ja, reichlich. Wir hatten eine Stunde, in der die Aufzeichnung lief. Und man muss sich das wirklich wie einen kleinen ESC vorstellen: Wir hatten Rehearsals, wir hatten Dress Rehearsals und irgendwann kam eine festgelegte Stunde, die wir vorher bei der EBU angeben mussten. Ich saß in einem Regiewagen, wo die ganzen Bildschirme sind. Da gab es eine Schalte zu der EBU, auch das Team des Host Broadcasters aus den Niederlanden war dabei. Außerdem noch ein Notar. Sie haben also alles, was wir machen, und die Bildschirme im Blick gehabt. Und sie mussten mit mir sprechen können.
Wir konnten drei Durchläufe in dieser Stunde machen und mussten uns dann entscheiden, welchen dieser drei Durchläufe wir einreichen. Dann musste innerhalb dieser Stunde auch der Upload dieses ersten Masters passieren. Im Nachgang musste dann jede einzelne Kamera- und jede einzelne Audiospur noch einmal einzeln hochgeladen werden. Das schafft man natürlich alles nicht in einer Stunde, weil das eine enorme Datenmenge ist. Ich glaube, wenn man kriminelle Energien hat, wird man immer Wege finden, da etwas zu manipulieren, aber ich wüsste jetzt ehrlicherweise nicht, wo. Das war schon ziemlich ausgeklügelt und sehr genau beobachtet.
Das ist aber auch wichtig, finde ich. Es ist ja ein Wettbewerb. Und wenn man dann das Gefühl hat, dass da einige Länder nur Playback singen und die anderen mühen sich teilweise ab - das wären ja keine gleichen Voraussetzungen. Die Stimmung auf den Fotos wirkt ja ganz gut - war sie das auch?
Wolfslast: Ja, die Stimmung war super. Zum einen möchte ich ein ganz dickes Dankeschön nach Litauen schicken, zum Head of Delegation, der mich zum Beispiel auch sehr bei dieser Live-Schalte unterstützt hat - ein wahnsinnig toller Mensch. Das ganze Team war hochgradig professionell, da war alles durchgetaktet. Auch von den Corona-Tests, die wir natürlich täglich machen mussten. Wie sie uns umsorgt haben. Wie sie auch im letzten Augenblick noch Änderungen machen, weil dann doch etwas am Kostüm zwickt, das war wirklich fantastisch. Und wenn du zum anderen so eine tolle Team-Leistung hast, sowohl bei den Litauern als auch in unserem Team, dann springt da der Funke über, da hatte Jendrik auch wahnsinnig viel Spaß.
Es war auch eine super Probe, weil diese Bühne dem ESC wirklich schon sehr nah war. Das ist was anderes, als wenn du in Köln auf einer kleinen Bühne im Palladium stehst (dort haben die Finalisten des deutschen Auswahlprozesses ihr Bewerbungsvideo für die Jurys gedreht, d. Red.) oder auf diesem Geschoss! Da kriegst du nochmal ein ganz anderes Gefühl und das war eine sehr gute Feuerprobe, die uns sehr helfen wird in Rotterdam. Dafür bin ich wahnsinnig dankbar.
Ich habe gesehen, dass es auch zu einem Zusammentreffen von The Roop mit Jendrik kam. War das zufällig oder war das geplant?
Wolfslast: Also ich habe das nicht geplant. Aber The Roop hat am nächsten Tag auf der gleichen Bühne ihr Back-up-Video gedreht. Und dann kam der Sänger am Abend zuvor nochmal vorbei, als wir gerade mit allem fertig waren. Das war einfach total nett. Er hat dann da ein bisschen mit uns gesessen, wir haben noch was getrunken und uns gefreut, das war schön.
Wir haben jetzt Mitte März. Was sind die nächsten Schritte bis Rotterdam?
Wolfslast: Wir werden noch ein bisschen weiterfeilen. Die Inszenierung ist jetzt noch nicht in Blei gegossen, da wird noch das ein oder andere etwas optimiert für Rotterdam. Dann gibt es diverse Interview-Termine. Wir bemühen uns jetzt natürlich auch um einiges, was wir international noch machen können. Die Kollegen aus Spanien wollen wieder eine Online-Preparty machen, dafür werden wir etwas vorbereiten. Und dann noch Kleinigkeiten wie Kostüm optimieren, wir versuchen alles so tipptopp hinzukriegen, dass wir da frohen Mutes nach Rotterdam starten können.
Ich glaube, wir alle drücken die Daumen und sind sehr gespannt, wie die Performance von Jendrik ist. Denn letztendlich kommt es bei diesem Song ja sehr darauf an.
Wolfslast: Das stimmt. Aber ich glaube, was Jendrik betrifft, kann man wirklich sagen: Der kann das, der macht das. Man wird deutlich mehr sehen als bei der Performance bei Florian Silbereisen, da ist man ja schwindelig geworden. Aber das Gute daran war, dass es noch viel Raum lässt, dass man sich die Choreografie dann auch wirklich in Ruhe in Rotterdam angucken kann. Da kann man sich wirklich darauf freuen, das ist toll.