Rückblick 1: Måns Zelmerlöw - die neue ESC-Dimension
Seit dem 28. Februar in diesem Jahr musste er als Favorit für den ESC-Sieg gelten: Måns Zelmerlöw, schwedischer Entertainer, erfahren im Melodifestivalen, routiniert als Mann mit Fernseheinsätzen. An jenem Tag hatte er in Örebro bei der vierten Vorrunde des schwedischen Vorentscheids anzutreten. Noch waren keine Stimmen ausgezählt, aber schon nach der ersten Probe war absolut gewiss: Diese Performance würde den ESC-Goldstandard für alle Zeiten auf ein höheres Niveau treiben. Als Zelmerlöw in dem mittelschwedischen Städtchen probte, war dies, so erzählen es Beobachter, für ihn und sein Team weniger wichtig, um seine Stimmbänder zu erwärmen. Entscheidend waren die Stellproben: Wie steht der Künstler in der wievielten Sekunde seiner Vorstellung auf der Bühne?
Millimeterarbeit auf der Bühne
Das war deshalb wichtig, weil erstmals in der ESC-Geschichte mit eingestrahlten beweglichen Grafikelementen gearbeitet wurde - der kleine niedliche Junge, der sich bewegt. Der Sänger würde sich zu den Bewegungen dieses nur gezeichneten Jungen bewegen müssen. Projiziert war dies auf eine neben den Sänger aufgebaute Plexiglaswand, die man aber bei der TV-Ausstrahlung nicht sieht. Die grafische Figur spulte sozusagen vom Band ab - der Sänger hatte also genau die dazu passenden Schrittchen und Körperdrehungen zu dieser Figur auszurichten. Alles zusammen ergab die comicbewegliche Geschichte zu dem späteren Siegeslied von Wien: "Heroes".
Kaum mehr als drei Millimeter durfte der Sänger vom Performance-Skript abweichen, sonst hätte die Inszenierung misslungen, bemüht und peinlich gewirkt. Schon im Preview-Clip ist zu sehen, was das Neue an diesem schwedischen ESC-Beitrag war. In diesem taucht sogar Schrift auf, die die Botschaft des Liedes unterstreicht und sie als wichtig und bemerkenswert hervorhebt. Auch dies in der ESC-Geschichte erstmalig.
Perfektes Gesamtpaket
Alles in allem war "Heroes" ein haushoher Sieger beim 60. Eurovision Song Contest, weil alles an diesem Act stimmte. Måns Zelmerlöw war der kongeniale Interpret - er sah durchschnittlich gut aus, er war für jedes Publikum akzeptabel, er störte weder durch Freakigkeit noch durch aufgemotzte Textilien. Die schwedische Delegation wurde nicht müde zu betonen, wie sehr von der Stange alles war, das Zelmerlöw trug. Bühnenoutfits? Die Kategorie galt nicht mehr: Dieser ESC-Sieger wirkte, als käme er von der Straße auf die Bühne geweht, um mal wie nebenbei ein Lied zu intonieren.
Nichts aber wäre falscher, als eben dies zu denken: Da stand ein Mann auf der Bühne, der wie beiläufig eine Geschichte erzählte, biografisch angehaucht, ohne dass wir als Publikum wussten, ob das echte Bekenntnisse von Måns Zelmerlöw sind oder diese nur den Anschein erwecken sollten, die Story des Sängers zu sein. Der Schwede lag mit seiner Performance (das heißt: grafische Untermalungen, Text, Melodie, Rhythmus, Textiles) näher an der Tradition der Liedermacher als an denen des reinen Pop. Und doch machte "Heroes" etwas her, das atmosphärisch mehr an "Waterloo" als an "What's Another Year" gemahnte: nur dass der Refrain zum klassischen Mitsingen in bester Laune einlud.
Auf internationales Publikum ausgerichtet
Schwedische Acts sind seit vielen Jahren, streng genommen seit Abbas "Waterloo" 1974, darauf ausgerichtet, dem internationalen Publikum zu gefallen - sie sind Zeugnisse eines popexportorientierten Landes. Neu - und anders als noch Loreen 2012 mit "Euphoria" - war an Måns Zelmerlöw, dass er nicht den Exoten, den geheimnisvollen Fremden gab. Und dass sein Team sich der technischen Mittel bediente, die die moderne Popwelt aus sich selbst hervorbringt.
Der Choreograf von "Heroes" war Fredrik "Benke" Rydman, ein international versierter, gelernter Tänzer. Das Zitat, das im Hinblick auf die Grafikelemente für den ESC-Siegertitel genutzt wurde, stammt von A Dandypunk aus dem Jahr 2012; der Titel lautet "Projection mapping live performance art - The Alchemy of Light by a dandypunk". Das gesamte ästhetische Paket wurde in drei Monaten entwickelt, ehe es für die vierte Vorentscheidung beim "Melodifestival" in Örebro zur Werks- beziehungsweise Bühnenreife präpariert war.
Schweden versteht sich als leistungswilligstes Land beim ESC, ähnlich wie Dänemark, seit einigen Jahren auch Norwegen, gewiss auch Russland. Aber was um Stockholm (und Musikstudios in anderen Städten des Landes) passiert, ist kein Schlager, sondern Pop - und der ist notgedrungen immer international orientiert. Was die Voraussetzungen für die in Zelmerlöws Performance zum Ausdruck kommende Qualität anbetrifft, dazu in der zweiten Folge dieses Jahresrückblick mehr. Er wird sich nur einer Frage widmen: Was machen die anderen weniger richtig als die Schweden?