ESC-Rückblick: Goldene Jahre des Ralph Siegel
1972 war Ralph Siegel erstmals bei einem ESC dabei, wenn auch zunächst nur in einem deutschen Vorentscheid und nicht einmal erfolgreich. Durch nichts war absehbar, dass der Münchener Komponist diesen Contest über viele Jahre so prägen würde - meist mit Hilfe seines Texters Bernd Meinunger. 1974 war er für Luxemburg mit Ireen Sheer am Start und 1976 mit den Les Humphries Singers.
Mit Siegel-Klang und Nicole zum Sieg
Aber das, was seine Handschrift beim ESC sein würde, wurde erst 1979 sicht- und hörbar. Mit Dschinghis Khan und ihrem gleichnamigen Titel schuf er eine Retortenband nach dem Vorbild der Village People ("Y.M.C.A."). Worüber sich manche empörten, kratzte ihn nicht: Es stand ja in den ESC-Regeln nirgends geschrieben, dass man einen Act nicht einfach erfinden dürfe. Siegel, das muss man sagen, ist ein glühender Anhänger von Messbarem. Er liebt den Sport und den ESC: Lieder, die miteinander konkurrieren - das tun sie schließlich immer - und über die auch noch abgestimmt wird. Und er wollte gewinnen.
Nach zwei zweiten Plätzen durch Katja Ebstein und Lena Valaitis siegte der Münchener schließlich mit der Saarländerin Nicole und ihrem "Ein bisschen Frieden". Der Siegel-Klang war auf der Höhe seiner Popularität. Und zugleich setzte er beim ESC einen Standard, der bis heute wirkt. Alles, was aus der Kompositionswerkstatt Siegels stammt, hört sich an wie Musical.
Tonspuren fürs Musical
Dieses Entertainment namens Musical begann damals seinen Siegeszug durch Europa: Nicht mehr Revue oder Oper waren für die breite Masse wichtig, sondern das Mittelding - eben das Musical. Abbas Lieder sind ja ohnehin seit vielen Jahren zum Musical gebündelt. Siegel war im Übrigen stets europäisch unterwegs. Und auch das war beim ESC schon immer so: Komponisten versahen ihr Werk nicht nur für ein Land. Siegel schlug und schlägt sie alle: Er hat für Deutschland gearbeitet, für Luxemburg, die Schweiz, Montenegro, Malta und wird dieses Jahr zum vierten Mal für San Marino am Start sein. Wäre er ein eigenes Land, stünde es im ESC-Medaillenspiegel sehr weit vorne - neben einem Sieg mehrere zweite, dritte und vierte Plätze waren es zusammen bis dato.
Das dritte Jahrzehnt brachte freilich noch anderes an Prominenz hervor. Israel, seit seinem Debüt 1973 immer stark, gewann 1978 und 1979 gleich zweifach. Johnny Logan siegte 1980 als Außenseiter erstmals. Und 1982 sangen Kikki Danielsson und Elisabeth Andreasson (später: Andreassen) als Chips für Schweden. Ihr "Dag efter dag" (komponiert von Lasse Holm, dem schwedischen Ralph Siegel) war ein erster Beitrag aus einer Fülle von Liedern, die sich wie moderner schwedischer Swing-Jive-Schlager anhörten. 1985 gewannen die Bobbysocks für Norwegen (mit der Veteranin Hanne Krogh und der bekannten Elisabeth Andreassen) erstmals für das Erdölland den ESC. Das Land, das so oft den letzten Platz belegte, stand Kopf!
Grell und überschminkt
Belgien konnte in dieser Zeit ebenfalls das erste Mal gewinnen. Sandra Kim ist in ihrer Heimat nach wie vor eine Art Schlager-Heilige. Schaut man sich ESCs jener Jahre an, erkennt man auf Anhieb, wie modern diese Show war: Modisch hatten alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen etwas Grelles, Überschminktes - aufgekrempelte Sakkoärmel bei den Männern, als seien sie in "Miami Vice" tätig, zentnerweise Rouge auf den Wangen der Künstlerinnen, die Haarschöpfe getufft zu Mittelgebirgen. Der Song Contest war ästhetisch ein Popfestival mit den Mitteln des Schlagers. Wobei: Das klassische französisch anmutende Chanson hatte sich noch nicht kampflos geschlagen gegeben. Corinne Hermès, eine Französin in Luxemburgs Diensten, gewann 1983 in München den ESC: Dramatischer mutete in jener Zeit kein Lied an.
Die ESC-Länderschar wurde derweil größer: Zypern debütierte 1981, Island 1986. Auf derNordatlantikinsel gab es zuvor keine stabilen TV-Transferkabel, um die Wertungen live zu übertragen. Und das Gastspiel Marokkos 1980 blieb einzig: Der Sprung nach Nordafrika war nur möglich, weil Israel 1980 pausierte, trotz seines neuerlichen Sieges 1979 in Jerusalem: Mit Israel zusammen wollte kein arabisches Land mitmachen.
Meine Top Ten von 1977 bis 1986
- Kikki Danielsson: "Bra vibrationer" (Schweden 1985, 3. Platz)
- Anne-Marie David: "Je suis l'enfant soleil" (Frankreich 1979, 3. Platz)
- Monica Aspelund: "Lapponia" (Finnland 1977, 10. Platz)
- Ricchi e Poveri: "Questo amore" (Italien 1978, 12. Platz)
- Hot Eyes: "Sku' du spørg' fra no'en" (Dänemark 1985, 11. Platz)
- Daniela Simons: "Pas pour moi" (Schweiz 1986, 2. Platz)
- Maria Guinot: "Silêncio e tanta gente" (Portugal 1984, 11. Platz)
- Carola: "Främling" (Schweden 1983, 3. Platz)
- Lena Valaitis: "Johnny Blue" (Deutschland 1981, 2. Platz)
- Sverre Kjelsberg & Mattis Hætta: "Sámiid ædnan" (Norwegen 1980, 16. Platz)