Montenegrinische Empörung über Jury-Rüge
Ende Juni berichteten wir, dass die Reference Group des ESC die ESC-Sender Montenegros und Mazedoniens offiziell gerügt haben. Der Grund: Beide Länder wiesen, so die European Broadcasting Union, seltsame Jurywertungen auf - weshalb die Resultate beider Länder durch das jeweilige Televoting des Finales zustande kamen. Diese Entscheidung ist wenigstens seitens des montenegrinischen Senders in Podogirica RTCG empört, fast verzweifelt aufgenommen worden. Wobei man vorweg sagen muss: Es ist meines Wissens noch nie in der ESC-Geschichte passiert, dass sich ein Sender gegen Beschlüsse der European Broadcasting Union zu wehren versucht. Und das sogar öffentlich.
Jurys diskreditiert
In einem Brief an den ESC-Chef Jon Ola Sand nämlich schrieb Sabrija Vulic, Head of Delegation des ESC beim Sender RTCG, gleich nach der Bekanntgabe der Rüge: "In vorigen E-Mails führte ich aus, dass unser Haus extrem negativ reagiert hat auf die Entscheidung der EBU, das Juryvoting zu canceln." Vulic wies weiter darauf hin, dass sich ihm nicht erschließe, was an den Juryurteilen aus Podgorica falsch gewesen sein könnte. Außerdem werde es nun schwer, so Vulic, überhaupt noch Juroren zu finden. Nun stünde ja die montenegrinische (und auch mazedonische, muss man anfügen) Profijury unter Verdacht der Mauschelei.
Hintergrund: Sabrija Vulic wies in dem Brief an Jon Ola Sand darauf hin, dass auch andere Länder in ihren Jurywertungen starke Wertungsparallelen aufgezeigt haben. Weshalb also, so der Einwand, wird nun ausgerechnet Montenegro bestraft?
Eine verzwickte Lage
So oder so: Die Lage ist verzwickt, denn eine Person wie der Head of Delegation aus dem erst seit 2007 beim ESC mitmachenden Land, sollte in der Tat auf das Showformat, wie der ESC eines ist, ein besonderes Augenmerk haben: Es ist wichtig für das europäische Bewusstsein, muss sich aber im eigenen Land rechtfertigen beziehungsweise eine hohe Zuschauerzahl erreichen. Das war dieses Jahr der Fall: Montenegro schaffte im Mai den Sprung ins Finale, das zweite Mal überhaupt. Die Formation Knez und ihr Titel "Adio" - geschrieben vom ESC-erfolgreichen Željko Joksimović - gelang ein 13. Platz. Sabrija Vulic meint: Da nun die Profis der Musikindustrie in seinem Land durch die EBU-Entscheidung diskreditiert sind, werde es schwer, einen ähnlichen Act wie dieses Jahr zu gewinnen - und entsprechende Einschaltquoten im Fernsehen zu erreichen.
Von Podgorica nach Stockholm - offen!
Die Lage ist insofern verworren, als der Sender Montenegros auf den Brief von Sabrija Vulic noch keine Antwort erhalten hat. Von einer respektvollen Reaktion hängt indes ab, ob Montenegros Sender überhaupt noch Motivation findet, sich am ESC-Geschehen zu betieligen. Vulic schrieb uns auf die Frage, ob sein Sender RTCG im kommenden Jahr in Stockholm dabei sein werde: "I still dont have answer on this question. Our answer can depend of EBU decision … in September." Also: Ich habe noch keine Reaktion erhalten - unsere Antwort auf Ihre Frage hängt von der EBU ab, ob und wie sie auf unseren Protest reagiert.
Das wäre natürlich folgenreich, würde Montenegro im kommenden Jahr nicht dabei sein wollen, weil es sich ungerecht behandelt fühlt. Andererseits war die montenegrinische Jurywertung wirklich bizarr einmütig bei allen fünf Mitgliedern. Man darf sagen, Sabrija Vulic pokert mit einem gar nicht so guten Blatt: Die EBU möchte alle Mitgliedsländer stets für einen ESC gewinnen - aber nicht um jeden Preis. Montenegro ist einfach zu klein, um die Reference Group des ESC unter Druck setzen zu können.