Memories an Malmö 1992
Ein Tipp vorweg: In der Ausgabe der Wochenzeitung “Die Zeit” vom vergangenen Donnerstag findet sich ein sehr hübscher Text im Reiseteil von Ralph Geisenhanslüke über das Malmö am Vorabend des Eurovision Song Contest. Schön sind die Skizzen, ohne unnötigerweise näher auf das nahe Festival einzugehen, wie er diese Stadt am südwestlichen Zipfel Schwedens schildert. Malmö hat sich gewandelt. Vor 21 Jahren, als der ESC schon einmal dort stattfand, war alles anders: Damals war Malmö faktisch nur eine geographische Gelegenheit unter anderen, um ein TV-Ereignis möglichst reibungsfrei über die Bühne zu bringen. Die Stadt war hässlich, am Rande der Deindustrialisierung, und zurecht weist der “Zeit”-Autor darauf hin, dass erst mit der Eröffnung der Brücke nach Kopenhagen ein gewisses metropoles Flair, sogar Eleganz und Hippness in Malmö zu finden sind. Leider ist Ralph Geisenhanslükes Text online nicht zu haben – was unbedingt moniert werden muss, weil: Wer kauft jetzt noch ein Papierexemplar sieben Tage nach dessen Druck?
Aber okay: Zu sagen ist in persönlicher Hinsicht, dass ich 1992 in Malmö für “Die Zeit” unterwegs war. Meine erste Rezension war drei Jahre vorher, nach dem Grand Prix Eurovision 1989 in der “taz” veröffentlicht worden. Und genau betrachtet war es, man verzeihe mir diese kleine Eitelkeit, der erste Artikel, der von diesem Ding so berichtete, wie man es als Journalist tun sollte, wenn man ernst nimmt, dass 120 Millionen Menschen zuschauen. Irgendwie wollten damals alle, dass man den Wettbewerb als witzig, schräg, schrill, blöd, auf jeden Fall in abfälliger Weise behandelt. Es gibt immer noch hinreichend Kollegen und Kolleginnen, die in diesem Gesangswettstreit nichts sehen, was ihnen gefallen könnte – es ist ungefähr so, als ob man Medienmenschen, die Fußball abscheulich finden, demnächst zum Champions League-Finale ins Wembley-Stadion schickt.
Insofern war der erste Malmöer ESC 1992 – mit dem der dreifache Sieg Irlands in Folge begann, Linda Martin, die auch in Malmö sein wird, machte damals den Auftakt – ein medial eher ignoriertes Ereignis. Viele Länder hatten Sonderkorrespondenten hingeschickt, Schweden sowieso, aber auch Norwegen, Irland oder die Niederlande. Aus Deutschland kamen Fans, die sich wunderbarerweise für Regionalblätter akkreditieren ließen. Was in Erinnerung geblieben ist, wie in der ersten Folge dieser “Memories of Malmo” geschildert, ist die Lieblosigkeit der Organisation einerseits, andererseits die Präsenz der Fans. Es muss unbedingt gelobt werden, dass wenigstens die Fans die Künstler und Künstlerinnen befragten – und das oft auf aufgeregte Weise und nicht mit dem üblich journalistischen Distanzgetue. Die Leidenschaft des Fantums hatte natürlich auch damals schon ihre bizarren Seiten, aber das lassen wir hier mal im Näheren weg.
Zu meinen präsentesten Erinnerungen gehören ja die an Mia Martini, die auf der After-Show-Party mit ihrer Managerin zusammen saß, Kette rauchte und furchtbar traurig guckte. Wusste sie schon von ihrer tödlichen Erkrankung? Fragte sie sich, was sie in diesem gottverlassenen Nest im grau-kalten Norden eigentlich macht? Oder die Maltesin Mary Spiteri, die Tag für Tag durch das Foyer der Halle schritt, sich von den Fans bestaunen ließ und huldvoll lächelte: So einen Frauentypus haben die Fans sehr gern gehabt – eine Mutti, die eine Hymne singt. Auch sind Schnipsel der Irin Linda Martin im Kopf, von der der wenige Monate später verstorbene Hamburger Fan Michael Bernd von der ersten Sekunde an sagte, die würde gewinnen, weil sie allen gefallen kann. Linda Martin machte schon auf der Pressekonferenz unmissverständlich deutlich, dass sie schon einmal Zweite war (1984), aber nicht gekommen sei, um wieder zu verlieren. Ja, so lernte man eine Person mit eisernem Karrierewillen kennen. Dass sie das mit einem grandiosen Auftritt auch schaffte, war schon vor der Punktevergabe klar. Auch Michael Ball, ein schwuler Brite, der es auf den zweiten Rang schaffte, guckte hernach künstlich frohsinnig – nein, er ahnte nicht, dass er an Ms. Martin scheitern würde. Als Musicalstar machte er all die Jahre danach Karriere – und das ist eben auch eine Erinnerungstonspur: Dass so viele Lieder nach Musical klangen, die Kunstform der theatralischen Gesangsdarstellung, die sich von Oper durch das Fehlen abendländischer Gesamtbildungspakete auszeichnet.
Womit ich zu Ralph Siegel komme, der mir höchstpersönlich damals im Interview sagte, das sei nun wirklich sein letzter Grand Prix, seine Nerven hielten das einfach nicht länger aus. Dieser Meister des ESC hatte Wind am Start – und ich würde ihn noch mehr respektieren als überhaupt heutzutage möglich, würde ich nicht erlebt haben, wie die Wind-Leute von ihm in der Lobby des Hotels zusammengestaucht wurden. Sie hätten nichts richtig gemacht, falsch gesungen … und überhaupt: Es sind viele Geschichten überliefert von ihm, der seinen Kummer über bescheidene Platzierungen nicht traurig für sich behält, sondern an anderen abträgt.
Christer Björkman, bis zum Melodiefestival 1992 in Schweden ein Frisör mit Neigung zur Showbühne, repräsentierte mit “I morgon är en annan dag” sein Land – eine Ballade, die, so vermutete ich, der drei männlichen Choristen wegen als viel zu schwul in den Keller gevotet wurde. Könnte sein, dass ich mich irrte – aber das Lied mag ich bis heute. Björkman muss sich an diesem Abend nach dem vorletzten Rang geschworen haben, nie wieder so saftig zu verlieren. Heute ist er der Mann für den Grand Prix in Schweden schlechthin und sitzt international in der Reference Group, dem Generalsekretariat des ESC. Respekt!
Was heute vermisst werden könnte, war damals üblich: Es gab Orchester; Osteuropa fehlte noch; letztmals nahm Jugoslawien teil; alle Performances mussten in den Landessprachen abgeliefert werden – und Luxemburg war auch noch zugegen, wenn auch mit einem der ödesten Beiträge aus dem Großherzogtum jemals.
Mein Artikel für die “Zeit” damals wurde nicht gemocht. Ich hatte, so vermutete ich, den Klang der Zeitung verfehlt – und mein Text war tatsächlich eher staunend-interessiert geschrieben. Es war vor 21 Jahren noch eine andere Stadt, eine andere Zeit, eine andere Interessiertheit. Wie gut, dass Malmö als Stadt in diesem Jahr richtig Lust hat, dieses Festival – und damit sich selbst – zu präsentieren.