Ihr Lied konnte eine Brücke sein ...
Dass sie, die Jazz-, Soul- und Bluessängerin aus Mannheim, als Kandidatin für den ESC-Vorentscheid 1975 präsentiert wurde, war schon erstaunlich für jene Jahre. Joy Fleming, eigentlich damals Erna Strube und inzwischen (abermals) verheiratete Liebenow, war keine aus dem Schlager. Sie war keine Peggy March, Mary Roos, Katja Ebstein oder Jürgen Marcus. Sie war mit dem "Neckarbrückenblues" bekannt geworden, wurde mit dem Titel nur selten auf den damaligen Schlagerwellen gespielt. Aber sie hatte gute Lobbyisten, denn Ende der 60er-Jahre war sie unter dem Titel "Joy & The Hit Kids" im Fernsehen aufgetreten, 1968 etwa im berühmten "Talentschuppen" des Südwestfunks in Baden-Baden.
Joy Fleming war eine Mannheimer Lokalgröße, die zu Kinderzeiten unter US-amerikanischen GIs aufwuchs und in deren Kneipen entsprechende Musik kennen- und lieben lernte. 1958, so sagen es Vertraute, sang sie bei einem Schlagerwettbewerb in der Region. Ihr Titel: "Ciao Ciao Bambina". Der Gassenhauer, so sagte sie mal in einem Gespräch, ging ihr nie mehr ganz aus dem Gemüt: Gerade das von Domenico Modugno, ESC-Teilnehmer von 1958, eigne sich zur vollen stimmlichen Entfaltung.
Markenzeichen Bluesstimme
Ihre Stimme war immer ihr Markenzeichen: Bluesig, soulig, über mehrere Oktaven sicher, klar und stark. Kurz vor dem Tod von Janis Joplin war sie bei deren Konzert in Frankfurt am Main das Vorprogramm. Die Fleming selbst erzählt gern, wie sehr ihr das Publikum damals zu Füßen gelegen habe. Man könnte sagen: Das ist eine Geschichte, die - hat man Fleming je live gehört - absolut glaubwürdig ist. Mit ein "Lied kann eine Brücke sein" setzte sich Komponist Rainer Pietsch ein Denkmal. Michael Holm als Texter stand ihm in puncto Güte des Liedes nicht nach. Pietsch soll wochenlang, mit viel Geld und Zeit, an der feinen, Phillysound-orientierten Liedstruktur gearbeitet haben. Man darf sagen: Es wurde kein ramschiges, mal eben im Studio zusammengezimmertes Lied, sondern eine am amerikanischen Niveau orientierte Hymne, die jeden Soulproduzenten in den USA neidisch gemacht hätte.
Das Lied ist für viele Fans ein absolutes Lieblingslied. Dass es sich am 3. Februar 1975 in den Frankfurter Studios des Hessischen Rundfunks nur knapp vor Peggy Marchs "Alles geht vorüber" durchsetzen konnte, war empörend genug: Das Lied, die Stimme, überhaupt der Auftritt der Fleming war allen anderen so haushoch überlegen, wie es hörbarer kaum ging. Dem Vernehmen nach soll die Siegerin hauptsächlich durch die Zuschauerwertungen gewonnen haben, nicht durch die Juroren in der Show - die hatte die March auf ihrer Seite.
Eine Bereicherung für den deutschen Pop
In Stockholm belegte Joy Fleming ungerechtfertigterweise lediglich einen 17. Platz. Ihr Lied war - so meine These - zu modern, allzu amerikanisch, allzu kräftig intoniert. Und, das muss man anfügen, so modern, dass die damals übliche ESC-Juroren- und Sendercommunity das kaum aushalten konnte. Ihre, Joy Flemings Musik war vielleicht einfach zu schwarz: Das war im Europa der siebziger Jahre wohl schwer auszuhalten. Die Fleming hat mehrere Male noch an Vorentscheidungen teilgenommen, 1986 mit Marc Berry ("Miteinander", Platz 4), schließlich 2001 im Michelle-Jahr mit Lesley Bogaert und Brigitte Oelke ("Power of Trust", Platz 2) und 2002 mit dem Jambalaya-Chor ("Joy to the World", Platz 2) - ein internationales Comeback war ihr insofern nicht vergönnt.
Sie hat den deutschen Pop fast unermesslich bereichert. Wahrscheinlich war es für ihre Karriere gut, dass sie beim ESC nur unter "ferner sangen" rangierte. Sie konnte nach dem Ausflug nach Stockholm gut davon leben, zu behaupten, der ESC sei eigentlich nichts für Sängerinnen wie sie. Das war vielleicht nicht die feine Art, aber es hat ihr geholfen, zumal jene, die ihr zum "Neckarbrückenbluese" oder zu anderen Soul-Produktionen applaudierten, den ESC grundsätzlich scheußlich fanden.