Lang lebe San Marino!
Beim ESC 2008 in Belgrad gab ein Land sein ESC-Debüt, von dem bis dahin vermutlich 98 Prozent der ESC-Fans noch nie gehört hatten: San Marino. Es ist ein Flecken mit knapp 33.000 Einwohnern in der Nähe von Bologna, nicht weit weg von der Adria, und die älteste Republik der Welt. Dort leben so wenige Menschen, dass man sagen könnte: In einem Quartier von wenigen Straßen in Berlin oder Hamburg wohnen mehr Menschen. San Marino nimmt deshalb nie am Televoting des ESC teil. Man benötigt, um ein brauch- und verwertbares Ergebnis zu bekommen, eine bestimmte Anzahl von Leuten. San Marino hat sie nicht zu bieten, deshalb speist sich die Wertung des Landes zu 100 Prozent aus dem Juryresultat.
San Marino ist das ESC-Außenseiterland schlechthin
In den vergangenen vier Jahren fand der Münchner Ralph Siegel in San Marino Schlagerasyl als Komponist. Der Zwergstaat schickte Valentina Monetta dreimal mit einem Song aus Siegels Feder ins Rennen. 2014 gelang dem Komponisten mit ihr der Einzug in die Endrunde. Es war der einzige Sprung ins Finale, der San Marino gelang. Sonst: hintere Ränge im Semifinale, beim Debüt in Belgrad gar der allerletzte Platz.
Dieses Schicksal droht auch in diesem Jahr wieder. Als Sänger konnte San Marino den gar nicht so unbekannten Serhat gewinnen. Aber sein Lied namens "I Didn't Know" rangiert in den Wettbüros sehr deutlich auf dem letzten Rang. Kommentare zu dem Song, die mich auf meinem Facebook-Account erreichten, waren einhellig: Warum ein solch hässlicher Mann, weshalb ein solch deprimierend langweiliges Lied? Ich teile diese Auffassung nicht. Davon abgesehen, dass mein Geschmack immer nur der meine ist und ich auch chronisch schlecht beim Wetten und Weissagen bin, finde ich Serhats Lied melancholisch und fein. Ein bisschen jazzy im Gesamteindruck. Des Sängers akzentstarkes Englisch passt zur Stimmung seines Gesangs: ein bisschen spröde, aber mit verhaltener Leidenschaft.
Thierry Mugler als künstlerischer Direktor
Serhat ist ein erfahrener Sänger, Bühnen machen ihm keine Angst. Kleine ESC-Pointe am Rande: Der gebürtige Istanbuler von inzwischen 51 Jahren hat 2005 mit der belgischen Sängerin Viktor Laszlo ein Duett aufgenommen - mit jener Sängerin, die 1987 den ESC in Brüssel moderiert hat.
Der künstlerische Direktor des diesjährigen san-marinesischen ESC-Acts ist Thierry Mugler, Stardesigner, Modeschöpfer und Fotograf. Dieser Mann ist, wie Jean-Paul Gaultier, seit vielen Jahren mit pochendem Herzen dem ESC verbunden. Jetzt hat sich Mugler dieses Außenseiterland auserkoren: Das spricht für den Elsässer. Das Team, dem Mugler vorsteht und das schließlich in Stockholm Serhat repräsentiert, ist ein europäisch-multikulturelles. Das am stärksten San-Marino-hafte des Acts ist vermutlich, dass der Sender seinen Sitz dortselbst hat. Sonst: eine europäische Mischung mit Serhat an der Spitze. Ginge es allein nach meiner inneren Jury - er wäre beim Finale dabei. Die kleinen Länder dürfen nicht immer die letzten sein, das wäre gegen die Idee des ESC, durch den ein Land wie Luxemburg schließlich auch durch viele Siege über die Landesgrenzen hinweg bekannt wurde.
Serhat wird "I Didn't Know" in der ersten Hälfte des ersten Halbfinales am 10. Mai performen. Deutsche Televoter und die deutsche Jury sind im ersten Halbfinale nicht stimmberechtigt und somit auch nicht an der Entscheidung beteiligt, ob der Türke in Diensten des kleinen ESC-Landes dieses Jahr eine Runde weiter kommt.