Karlsmedaille: Ein Zeichen in Krisenzeiten
Die Karlsmedaille wird für mediale Verdienste im Geiste Europas verliehen - in den vergangenen Jahres waren es die Organisation Reporter ohne Grenzen, der britische Historiker Timothy Garton Ash oder auch der Musiker André Rieu, die diese Auszeichnung zuerkannt bekamen. Dieses Jahr wurde, endlich könnte man fast sagen, der Eurovision Song Contest geehrt.
400 Gäste kamen am Donnerstagabend im Krönungssaal des Aachener Rathauses zusammen, Honoratioren der Stadt, Abgeordnete des nordrhein-westfälischen Landtags und viele Medienvertreter der ESC-Szene. Bürgermeisterin Hilde Scheidt erinnerte in ihren Worten an die magische Kraft des Grand Prix Eurovision, wenn er in das Wohnzimmer ihrer Kindheit über den Bildschirm kam: "Internationalität in den eigenen vier Wänden", das sei von großer, ermutigender, europäischer Kraf t gewesen und sei dies bis heute.
Sand: "Eine wahnsinnige Ehre"
Stellvertretend für die European Broadcasting Union in Genf, die seit 1956 den ESC federführend überträgt, bedankte sich Generaldirektorin Ingrid Deltenre ebenso wie ESC-Chef Jon Ola Sand. Deltenre sagte: "Musik überwindet seit jeher Grenzen" - das sei das Geheimnis des ESC seit sechs Jahrzehnten. Jon Ola Sand freute sich: "Es ist eine wahnsinnige Ehre, diesen Preis zuerkannt zu bekommen."
Die Laudatio hielt schließlich eine Legende nicht nur in der ESC-Community, Björn Ulvaeus, der Mann von Abba mit der sterngezackten Gitarre, Sieger mit seiner Gruppe 1974 in Brighton: "Waterloo" als Titel, so Ulvaeus, hätte auch politisch verstanden werden können, aber ihm sei nicht danach, ihn seiner Preisrede über einen Feldherrn des 19. Jahrhunderts zu sprechen, weder über Waterloo noch über Napoleon. Ulvaeus hielt in der Tat eine politische Ansprache. Extrem cool, ohne pompösen Gestus begann er mit der Bemerkung, dass 1956 der erste ESC stattgefunden habe, es sei das Jahr gewesen, "when Elvis changed the world", als mit Elvis Presley eine Musik nach Europa kam, die anders klang als die gewöhnlichen Lieder: rhythmisch, körperlich, Rock'n'Roll. Es hat lange gedauert, bis die neue angloamerikanische Musik auch in Europa Gefallen fand.
Björn Ulvaeus: Kampf gegen die Krise Europas
Ulvaeus sagte dann: "Für mich ist der Eurovision Song Contest ein starkes Symbol, eine Waffe im Kampf gegen die dunklen Mächte, die uns ins Mittelalter zurückkatapultieren wollen. Er ist relevanter denn je. Während des ESC-Finals, dieser strahlenden, erhebenden Stunden, erlebe ich einen der seltenen Momente, in denen Europa sich bewusst wird, was es heißt, vereint zu sein, in Harmonie zu leben. Musik hat die Kraft zu vereinen, sie kennt keine Grenzen. Die Verbindung von Fernsehen und Musik im ESC währt seit 60 Jahren, sie hat die Länder einander nähergebracht."
Ulvaeus betonte, dass der ESC nicht direkt politisch sein könne, aber jeder Künstler selbst entscheiden könne, ob er sich politisch beim ESC äußere. Heutzutage sei dies wichtig, aber er persönlich würde es nicht auf der Bühne tun. Jenseits würde er sagen, dass er Europa durch Nationalismus und religiösen Fanatismus bedroht sieht. Er werde mit seinen Mitteln dagegen kämpfen, wenn es nötig sei. ESC, Europa, EU: "Es sind politische und kulturelle Symbole des Friedens."
In der abschließenden Talkrunde der Geehrten fiel beinahe unter den Tisch, dass der ESC durch den Sieg von Conchita Wurst vor zwei Jahren eine politische Zuspitzung gefunden hatte. Es war Thomas Schreiber, ARD-Unterhaltungskoordinator, der diesen Fakt hervorhob: Conchita Wurst habe Televotingzustimmung auch aus Ländern bekommen, die für ihre Liberalität nicht bekannt seien, Osteuropa und viele katholische Länder im ESC-Nationalreigen etwa.
Nicole darf nicht singen
Es war eigentlich eine schöne Feier, wenn da nicht eine seltsame Art der Unhöflichkeit gewesen wäre: Nicole, die erste deutsche ESC-Siegerin mit "Ein bisschen Frieden", war auch geladen, saß ebenso auf dem Talkpodium - aber nach wenigen Sätzen ("Ich würde 'Ein bisschen Frieden' immer noch singen, weil es politisch in die Zeit passt wie damals.") hatte man offenbar von ihr genug: Nicole durfte nicht einmal ihr Lied von damals singen. Sie sagte nur: "Ich hätte es gemacht, in welcher Sprache auch immer." Man merkte ihr an, dass ihr die Botschaft von 1982 immer noch wichtig ist. Aber: Die Veranstalter bevorzugten ein Rahmenprogramm, in dem eine regional berühmte junge Sängerin Medleys aus ESC-Liedern sang, als sei's ein Kirchentag - und sich obendrein selbst mit der Flöte begleitete.
Die unangebrachten Fragen der Moderatorin nach Jamie-Lee, also nach der aktuellen deutschen Teilnehmerin, verliehen der Preisverleihung eine bizarr provinzielle Anmutung, zu der die politisch klaren Äußerungen Ulvaeus' oder Nicoles nicht passten. Die Veranstalter lobten einen politisch-kulturellen Preis aus und hatten offenbar doch nur Interesse an Oberflächlichkeiten.