Wie entsteht Entertainment bei den Proben?
Die Proben zum Eurovision Song Contest haben begonnen. Es ist eine Lust, diesem "work in progress" bis zu den Semis und dem Finale zuzuschauen. Man kann die Proben mitverfolgen, wenn auch bis Freitag nur auf Riesenscreens im Pressezentrum. Journalisten wie Fans fachsimpeln hinterher: War das gut? Wie war sie (oder er) am Mikro, im Licht, in den Dekorationen? Sah er (oder sie) nervös aus?
Genau das prüfen Delegierte aus den Künstler-Teams. Was sie sehen, bleibt meist geheim. Dennoch weiß man, sie haben einen besonders akribischen Blick: Kann an der Performance noch etwas verändert werden? Sah die Darbietung auf dem TV-Schirm schon annähernd so wie gewünscht aus?
Denn: Die Proben dienen dazu, die vor den Probenwochen schon entwickelten Kamerafahrten zu testen. Sieht das gut aus? Kommt die Message rüber? Meist gibt es leichten Zank und Hader. Die Verantwortlichen der Künstler wollen meist viele Nahaufnahmen von ihren Acts, die Gesamtregie möchte im Gegenteil viele Großaufnahmen, um das Gesamtwerk televisionär zu würdigen.
Eindruck von echtem Entertainment
Das alles ist wochenlang trainiert. Im Globen jetzt kommt es auf die Stimmigkeit an: auf den Eindruck von echtem Entertainment. Aber Proben sagen nur bedingt etwas über die Chancen eines Acts für die Semis und später für das Finale. Zunächst nämlich müssen gelegentlich Ängste überwunden werden. Mazedoniens Act vor 16 Jahren im Globen, eine Mädchengruppe, hatte damals in ihrer Heimat triumphal den Vorentscheid gewonnen. In Stockholms damals hinterließen sie stattdessen einen gesanglich röchelnden, insgesamt fahrigen Eindruck. Sie sagten hinterher: Es war so groß, die Halle so hoch, dass wir unsere Nerven nicht beieinander hatten. Das coole Gegenteil verkörperten die dänischen Olsen Brothers, Bühnenroutiniers, die im Moment ihres Auftritts, allen seltsam schief laufenden Proben zum Trotz, perfekt waren - und dabei nicht einmal richtig gut sangen.
Corinna May wurde mit jeder Probe schlechter
Marie N, die lettische Siegerin des Jahres 2002, probte hauptsächlich ihre Trickkleidnummer, gesanglich war sie erst beim Finale in Bestform. Wie auch Michelle 2001, von deren Proben im Kopenhagener Stadion unentwegt überliefert wurde, sie werde immer schlechter. Als es darauf ankam, war sie perfekt: Das ist die Kunst von wahren Künstlerinnen. Corinna May hingegen, 2002 in Tallinn für Deutschland am Start, war favorisiert, wurde aber mit jeder Probe schlechter. Ralph Siegel, ihr Komponist und ESC-Schöpfer, zuppelte so lange an ihr herum, meckerte und greinte, bis sie im Finale kaum eleganter agierte als ein vereister Großvogel in zerzausten Federn.
Lena hingegen wurde 2010 mit jeder Probe besser. Stefan Raab bestimmte weitgehend, dass sie nicht tanzen soll (im Gegensatz zu so vielen Sängerinnen in jenem Jahr), um sich von anderen zu unterscheiden. Sie möge ganz Lena bleiben - das war die Parole. Und das half offenbar.
Niemand aber war so entspannt bei den Rehearsals wie Guildo Horn im Jahr 1998. Und das musste bei seiner Nummer inklusive waghalsiger Klettereien von der Bühne herunter und über sie hinaus wirklich etwas heißen. Er genoss den ganzen schrillen ESC-Wahnsinn - und war doch in Hochform, als es echt zählte: im Finale.
Wie wird Jamie-Lee in ihren Leuchtbäumen aussehen?
Sie ist Samstag dran, erstmals. Dann wird man sehen, wie sie in ihren Leuchtbäumen aussieht. Ob man ihr zugesteht, sie möglichst lange während der drei Minuten "Ghost"-Beschwörung sehr nah zu sehen - mit ihrem sehr sympathischen Lächeln, wenn die hohen Töne klar und schön gekommen sind. Möge man nicht so sehr an ihr herumfummeln und sie sacht daran erinnern, dass der ESC weder eine Leistungsshow der Bühnengymnastik noch eine Teegesellschaft ohne Sieger ist. Die Konkurrenz ist da - und Jamie-Lee liebt "das Konkurrenz-Feeling", wie sie sagte.
Gut möglich, dass sie beim Finale erst in Höchstform ist. So war das ja auch in Köln, so war das bei "The Voice". Dass sie in den Prognosen nirgendwo vorne auftaucht, möchte ich als ewiger Optimist anfügen: So what?