Stand: 21.10.2013 16:34 Uhr

Dem Meister Glückwünsche

Natürlich ist der ESC größer als all seine Einzelbestandteile – Riten, Mythen, Menschen – zusammengenommen. Und selbstverständlich ist niemand näher am Himmel als das Festival selbst. Mit einer zarten, ich nehme an, verstehbaren Ausnahme:

Stefan Raab ist die wichtigste Figur in der jüngeren Geschichte des ESC, die dazu beitrug, dass dieser einst Grand Prix Eurovision de la Chanson genannte Abend aller Abende in nur einem Jahr gehörig entschlackt und verjüngt wurde. Bis 1998 war der ESC – Ältere werden sich erinnern – eine Art gelobtes Land gesamteuropäischen Entertainments. Eine Show, die durch alle ihre Geschichten seit 1956 unkaputtbar schien und doch kurz davor war, nur noch Eingeweihte vor die Bildschirme zu locken. Mochten Legenden wie Céline Dion, Vicky Leandros oder Udo Jürgens, von Abba ganz zu schweigen, durch den ESC nobilitiert worden sein. Aber 1997 war das Jahr der Bianca Shomburg deutscherseits – und das war nun wirklich kein Zeugnis modernen Unterhaltungskultur. Alle Stile, die damals unter jungen Menschen cool waren, sickerten überall ein, nur nicht beim ESC.

Stefan Raab beim zweiten Halbfinale von Unser Song für Deutschland © ProSieben Foto: Willi Weber
Stefan Raab als Jury-Vorstand von “Unser Song für Deutschland” 2011

Das änderte sich 1998 mit Guildo Horn, einem Pop-Produkt, wenn man so will, das auf Stefan Raabs Produzentenvermögen zurückging. “Guildo hat euch lieb” war der erste moderne Schlager jenseits von Dumpf & Dampf. Ein Popsong, der es in Birmingham auf den siebten Platz brachte. Die Zuschauerzahlen stiegen rapide. Am Dirigentenpult in der mittelenglischen Stadt stand Stefan Raab, auch wenn er nichts mehr zu dirigieren hatte: Das BBC-Orchester war das letzte seiner Art, das beim ESC die Musik beisteuerte, aber erlaubt waren schon Backing Tracks. Horns Lied kam vom Band, Raab dirigierte also, als sei es eine ironische Geste, aus der und für die Konserve.

2000 kam er wieder, nun als Entertainer himself. “Wadde hadde dudde da” war ein Song, dessen Text damals die Tageszeitung “Die Welt” beispielhaft zur modernen deutschen Lyrik erklärte. Ein fünfter Platz sprang heraus. Sein Meisterstück wollte er 2004 mit Max Mutzke machen, dem ersten echten Castingsieger der deutschen ESC-Geschichte. Doch “Can’t Wait Until Tonight” erntete in Istanbul nicht so viele Punkte, so dass der verärgerte Raab unmmittelbar darauf den “Bundesvision Song Contest” aus der Taufe hob: Ein innerdeutscher ESC, bei dem folglich, so sein Kalkül, auch nur Deutschland gewinnen könne. Inzwischen weiß man, dass Mutzkes achter Rang beim ESC in Istanbul gar nicht so schlecht war.

Stefan Raab 2000 beim deutschen Vorentscheid zum Grand Prix. © Picture Alliance / dpa Foto: Ingo Wagner
Von hinter den Kulissen auf die Bühne gewechselt: Stefan Raab als deutscher Kandidat beim ESC 2000.

Sechs Jahre darauf buk Raab dann mit Hilfe der neuen Castingshow “Unser Star für Oslo” tatsächlich das Projekt seines Lebens: Lena Meyer-Landrut gewann nicht nur dieses Format, sie siegte auch in Oslo selbst und beendete damit das deutsche Trauma, nur einmal in über fünf Jahrzehnten gewonnen zu haben. Nach Nicoles “Ein bisschen Frieden” konnte also auch englischsprachiger Pop aus Deutschland einmal die meisten Punkte ernten. Im Jahr darauf schließlich seine Kür: Der Düsseldorfer ESC avancierte zum Spektakel schlechthin, mit Raab als Moderator neben Judith Raakers und Anke Engelke. Wobei hier nicht vergessen werden soll, dass ohne die NDR Kollegen und Kolleginnen die Raab-Festspiele nicht so glamourös hätten in Szene gesetzt werden können.

So lautet seine Bilanz, so muss es mindestens in den Chroniken stehen. Anfangs hegte man gegen Raab den Verdacht, dass er in Wahrheit gar nicht am ESC interessiert sei, sondern nur daran, sich selbst ins Licht zu stellen. Davon abgesehen, dass auch das nicht illegal gewesen wäre, muss ich sagen: Ich kenne niemanden, der sich so versiert beim ESC auskennt, wie eben Raab selbst. In Istanbul stellte sich während einer Busfahrt heraus, dass er noch die abseitigsten jugoslawischen Titel aus den Siebzigern kennt, zum ESC tatsächlich kein zynisches Verhältnis hat. So von wegen: Ich brauche dieses Ereignis, weil es mich zwar nicht interessiert, ich dort aber meine Sachen verscherbeln kann. Nicht so Raab: Er mag Wettbewerb, er liebt die Spannung der Ungewissheit, er will immer gewinnen – und er respektiert seine Rivalen vor allem dann, wenn sie selbst mit höchster Liebe und Professionalität zu Werke gehen. Was er nicht ausstehen kann, ist Desinteresse an dem, was man tut.

Raab hat aus seiner Lust am Wettkampf eine eigene TV-Ästhetik entwickelt. Keine Show, die er erfindet, ist unsportlich: Alles, ob nun Wok-WM, Autorennen, Boxwettkämpfe oder “Schlag den Raab” ist auf Gewinnen und Verlieren angelegt. Die Quoten geben ihm recht. Einer wie er weiß, was das Publikum will (außer den ESC stets auf Pro7 zu sehen). Zu einem der größten Fehler des Steinbrückschen SPD-Wahlkampfs gehörte die Bemerkung des Kanzlerkandidaten über Raab, als er davon hörte, dass dieser beim “Elefantenduell” mitmoderieren würde. Das sei nicht zuträglich, teilte Steinbrück mit und ahnte nicht, dass das ohnehin schon vorab ein Vorurteil war. Im Nachhinein erwies sich obendrein, dass Raab der frischeste und politischste in der Runde der Moderatoren und Moderatorinnen war. Er kann es einfach!

Gestern ist er, der aus einer Metzgerfamilie aus dem Kölnischen stammt, 47 Jahre alt geworden. Herzlichen Glückwunsch einem, der hierzulande den ESC imagemäßig heftig aufzupolieren wusste.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 18.05.2013 | 21:00 Uhr