Bezaubernder Zorn
Es ist ja nicht so, dass ihr Lied auf Anhieb ins Ohr fließt: Hersiana Matmuja überzeugt in erster Linie durch ihre kräftige, klare und leicht metallisch anmutende Stimme. Hersiana, die in Kopenhagen unter dem Namen “Hersi” auftreten wird, hat Ende des voriges Jahres die albanische Vorentscheidung gewonnen – völlig zurecht mit dem Dreiminutendrama “Zemërimi i një nate”.
Mit elektrogitarrenlastigem Auftakt organisiert das Lied quasi Aufmerksamkeit, ehe es etwas ruhiger wird und durch der Interpretin Stimme sicher getragen wird. Für Frau Matmuja ist es der vierte Versuch (inklusive Newcomerkategorie) beim Festivali i Këngës. Nun hat sie eigenen Worten zufolge endlich geschafft, was ihr seit Kindertagen vorschwebte und ihren Ehrgeiz überhaupt ausmachte: Albanien international beim ESC zu repräsentieren.
Über die albanische Vorentscheidung näher zu berichten ist müßig: Es war einmal mehr eine Veranstaltung voller Bizarrerien – und erstaunlicherweise hat die richtige Kandidatin gewonnen. Und zwar im Hinblick auf den für mich wichtigsten Maßstab des ESC, vor allem des kommenden: Qualität soll das Wichtigste sein. Nun ist es mit diesem Kriterium so eine Sache: Die einen sagen so, die anderen so. Die einen sind fast nie zufrieden mit einem Festivalresultat, mäkeln an diesem und jenem. Seitens der Interpreten (auf deren Performances es immer ankommt, sie können aus einem mäßigen Lied Triumphales machen oder auch Desaströses) ist es ebenso.
Sandie Shaw wäre 1967 mit jedem anderen Lied gerne nach Wien in die Hofburg gereist, aber es war “Puppet On A String”, das ihr zuerkannt wurde. Dass es haushoch den Grand Prix Eurovision gewann, irritierte sie am meisten. Andere Sänger und Sängerinnen hatten mit gleichen Problemen zu tun: “Waterloo” von Abba war 1974 ein Act, der Geschichte schrieb – aber “Ring Ring”, ausgeschieden in der schwedischen Vorentscheidung 1973, war vermutlich das bessere Lied mit stärkerer Qualität. Interpreten hadern oft mit der Schlichtheit dessen, was sie zu singen haben: Abba, um am Beispiel zu bleiben, strickten “Ring Ring” nach amerikanischem Phil-Spector-Muster als “Sound of Walls”, als unüberwindliche, als bezwingende Klangmauer.
Will sagen: Was Qualität hat und was nicht, hängt immer auch vom Betrachter ab. Ob also ein Lied nicht nur simpel-schrummelnd daherkommt, ob es das Publikum auf mehr als übergriffige Hau-drauf-Art verführen will – das zu beurteilen ist bei jedem anders und bleibt es auch. Das albanische ESC-Lied für Kopenhagen wird nicht gewinnen, für einen Sieg ist es nicht eingängig genug. Nicht so wie Marija Serifovic, die mit “Molitva” bei ihrem Sieg in der serbischen Vorentscheidung 2007 auch nicht gerade das Publikum in ihren Bann zog. Erst in Helsinki war das Lied so rund dargeboten, dass es nur ein erster Platz werden konnte.
Um mich schon mal ein wenig aus dem Fenster zu hängen: ”Zemërimi i një nate” (“Eines Nachts Zorn”) wird ins Finale kommen und dort einen sehr guten Platz belegen können. Das legt einfach schon die Stimme der Interpretin nahe: Die ist nicht auf Niedlichkeit getrimmt, nicht auf vordergründigen Sex-Appeal oder auf die Illustration von Gefälligkeit. Dieses Lied gehört jetzt schon zu den Highlights einer hoffentlich guten Saison. Freitag geht es mit der Vorentscheidung in Weißrussland weiter.