Abbaisierung der Popwelt
Das Kalkül von Abba-Manager Stikkan Anderson ging auf: Das Quartett hatte es mit dem Sieg in Brighton geschafft, sich international bekannt zu machen. Sehr sogar. Hits noch und nöcher pflasterten ihren Weg bis Anfang der Achtziger. Ich selbst glaube, dass Abbas Erfolg erstens durch famose Qualität der Produktionen, aber vor allem durch deren Ästhetik erklärbar ist. Das waren zwei Männer und zwei Frauen und lieferten Pop ab. Aber sie wirkten wie Liedermacher - ihre Texte atmeten die Kraft von offenkundigen Botschaften: "Take A Chance On Me", "The Winner Takes It All“ oder "When All Is Said And Done". Alles klang autobiografisch-echt und familiär. Hier war eine Gruppe, die so etwas wie ideale Eltern darstellten für ihr Publikum. Solche mit Sorgen, mit neuen Wegen und Aufbrüchen und Abenteuern. Ihr Werk verströmte nicht die Atmosphäre von Tod und Drogen, von Entgrenzung und Ekstase, sondern von Welthaltigkeit im Jetzt und Hier. Selten ist ihre Musik durchweg fröhlich, stets liegt die Tonalität leicht versetzt im Melancholischen verankert, ohne dass es als depressiv ausgegeben wird.
Die Kritiker, die es zuhauf nach dem Triumph von Brighton gab, hatten tatsächlich ausnahmslos Unrecht. Von wegen: Bubble-Gum-Pop, One-Hit-Wonder, Lieder aus industrieller Konfektion und so weiter und so daneben. Mit Abba etablierte sich, durch den ESC, eine Pop-Ästhetik, die global funktionieren konnte (vor allem in Australien, Japan, Europa, nicht sehr in den USA) und zugleich nicht aus der Tradition des suizidal inspirierten Rock’n’Roll kam.
Konträre Reaktionen in Schweden
In Schweden fielen die Reaktionen kurios aus. Man hätte stolz sein können auf den ersten ESC-Sieg; man hätte darauf hinweisen können, dass Abba den Beweis erbrachten, dass Pop sich nicht automatisch wie England buchstabierte. Abba - das war der Beleg, dass andere europäische Länder als das des chronisch erfolgreichen United Kingdom mitspielen können im Konzert der europäisierenden Tonspuren, die nicht im Chansonfach liegen. Stattdessen wurden Abba, vor allem vom linken Kulturestablishment, ziemlich gedisst als kommerziell, dumm und unschwedisch. Immerhin: Das nichtbildungsbürgerliche, nicht dünkelhafte Publikum liebte Abba inbrünstig. Trotzdem veranstaltete SVT, das schwedische Fernsehen, am Tag des ESC eine eigene Alternative: Auf dem anderen Kanal wurde eine Art Liederfestival ("Alternativfestivalen“, wie es wörtlich hieß, für den "kamp mot kulturens kommersialisering") gesendet. Es brachte desaströse Einschaltquoten, da half selbst die Demo gegen den ESC nichts, abgehalten in Stockholm. Es war die einzige Demonstration, die jemals gegen den Eurovision Song Contest stattgefunden hat: Im Grunde eine Art Umzug als Klage, selbst nicht viel erfolgreich zuwege gebracht zu haben.
In europäisch-eurovisionärer Hinsicht war Abba ein neuer Maßstab. Teach-In aus den Niederlanden gewannen in Stockholm den ESC 1975. Ein schöner Beatschlager, aber künstlerisch nicht von gleichem Rang wie "Waterloo“. Schweden hingegen brachte über sehr viele Jahre mit den Mitteln der ABBAesken Performance und der entsprechenden Lieder viele weitere Beiträge hervor: Friends in Kopenhagen 2001 oder die gesamten achtziger Jahren, viele Beiträge der Neunziger (mit der Siegerin Charlotte Nilsson als Abba-verwandteste von allen) waren im Spirit von Abba gehalten.
Voriges Jahr in Malmö steuerten die Männer von Abba die Eröffnungsmusik zum ESC bei: "We Write The Story“ - das war cool und vor allem war es ganze Wahrheit: Sie schrieben die Geschichte ...