Österreich: Marty Brem
Oft ist es das Privileg der kleinen Geschwister, viel ausprobieren zu dürfen, während die älteren vernünftig sein, seriöse Berufe ergreifen, Vorbild sein müssen. Zumindest war das so in den Fünfzigerjahren. Nicht so bei den Brems aus dem Örtchen Eckenburg in Niederösterreich, nicht allzu weit von Wien entfernt. Der älteste Sohn Martin kam im April 1959 zur Welt, drei Geschwister folgten in kurzen Abständen. Mit zehn Jahren sang er Klassisches im Kirchenchor, mit Konzerten, Tourneen und allem Drum und Dran. Als Teenager kam die erste Gitarre, autodidaktisch beigebracht. Danach entdeckte er den Rock and Roll in der Band.
Wie der Zufall es wollte, wurde Martin Brem bei einer Party von einem Talentscout entdeckt. 1978, kaum volljährig, bekam er seinen ersten Plattenvertrag. Kurze Zeit später stieß er zu einer bunt zusammengewürfelten Truppe, die Österreich 1980 beim Grand Prix in Den Haag repräsentierte. Mit vorzeigbarem Ergebnis: Blue Danube, für die der damals noch aufstrebende Designer Helmut Lang die Kostüme entwarf, holte mit "Du bist Musik" einen achten Rang. Die Grand-Prix-Krone holte damals der Ire Johnny Logan.
Österreichs Johnny-Logan-Variante
Der Brem ist doch ähnlich charmant und hat einen ähnlich treuherzigen Blick, dachte sich der österreichische Sender ORF ein Jahr darauf und entsandte Marty Brem 1981 als Solokünstler. Den Song selektierte der Sender in einer skurrilen Fernsehsendung, "Die Marty Brem Show", die der vielseitige Musiker moderierte. In ihrem Design und ihrer Surrealität - es gab lebende Leoparden und Frauen mit Helmen auf Rollschuhen - erinnert die Show an Rainer Werner Fassbinders visionäres Science-Fiction-Drama von 1973 mit Klaus Löwitsch, "Welt am Draht".
Verantwortlich für die Choreographie der Show sei übrigens ein Deutscher gewesen, sagte Marty Brem im Frühjahr 2011 bei einem Treffen der OGAE-München. (Bei dieser Gelegenheit sang er das Lied erstmals seit 30 Jahren). Dessen Konzept sei es offensichtlich gewesen, eine gewisse Verstörung beim Publikum hervorzurufen, was ihm wunderbar gelungen sei. Selektiert wurde schließlich der Song "Wenn Du da bist". Brem erhielt für die traurige Ballade 1981 in Dublin aber kaum Punkte und wurde danach von den Verantwortlichen und den Medien wie Luft behandelt, wie Brem in "Mein Grand Prix Moment" über diese schmerzliche Erfahrung erzählt.
Vom Punkmusiker zum Chef bei Columbia Records
Quasi als Protestreaktion, so Brem, trat der Sänger der Wiener Mordbuben-AG bei, einer berüchtigten Punkband und sezierte später als Musikredakteur des legendären Branchenmagazins "Musikexpress/Sounds" gekonnt die Pop- und Rockgrößen Europas. Ende der Achtziger wurde er zunächst Marketing Consultant bei Philip Morris in München, in Neunzigern Marketing Director bei Plattenlabels wie Phonogram/Universal, Sony Music in London und schließlich Geschäftsführer des Giganten Columbia Records in Berlin.
Als 2001 jedoch seine Frau plötzlich starb, zog sich der zweifache Vater aus der Musik zurück und vertrieb einige Zeit später von Berlin heraus ein Modelabel, das antike Kimonos vertrieb, die seine Frau gesammelt und umgenäht hatte. 2007 verkaufte er dieses Textillabe und gründete eine Unternehmensberatung. Heute ist er Consultant, spezialisiert auf Mobility Management, und lebt nach wie vor in Berlin.
Die Musik hat der charmante Niederösterreicher aber nicht ganz beiseite gelegt. Zur Weihnachtszeit musiziert Brem zum Spaß bei der Cover-Band eines befreundeten Chirurgen der Berliner Charité, die sich Echte Ärzte nennt, die zum Erstaunen einiger Eventveranstalter regelmäßig große Hallen in Berlin füllt.