France Gall: Mit Zweideutigkeiten zum ESC-Sieg
Unschuldig und verdorben zugleich - France Gall bediente sich 1965 beim ESC dieses alten Erfolgsrezeptes. Mit vielen Zweideutigkeiten gewann sie für Luxemburg in Neapel.
Schon in den frühen 90er-Jahren wurde bei France Gall eine Krebserkrankung diagnostiziert, an ihr ist sie am 7. Januar 2018 in Neuilly-sur-Seine bei Paris gestorben. Gall überlebte nur wenige Wochen ihren Kumpel aus alten Yéyé-Zeiten, Johnny Hallyday. 1965 siegte sie mit dem Lied "Poupée de cire, poupée de son" beim Eurovision Song Contest im italienischen Neapel. Das Lied sang sie seit den frühen 70er-Jahren nie mehr: Allzu schlüpfrig schien ihr inzwischen der mit erotischen Bildern spielende Liedtext. Dass ihr Sieg, auf dem Ticket Luxemburgs, einer der wichtigsten Beiträge zur Entstaubung des Grand Prix Eurovision jener Jahre war, war ihr einerlei: "Ich singe nicht mehr, was mir ohne meine Zustimmung vorgesetzt wurde."
"Poupée de cire, poupée de son": Song mit verruchtem und zweitdeutigem Text
So unschuldig wie sie aussah, ihre Texte wimmelten nur so von Zweideutigkeiten. Die junge Französin France Gall gewann 1965 den Grand-Prix für Luxemburg. Mit blonden Haaren und braunen Rehaugen sang sie fröhlich den Popsong "Poupeé de cire, poupée de son", der vordergründig von einer Spielzeugpuppe handelte. Ihr Mentor und Komponist Serge Gainsbourg gab dagegen später ganz offenherzig zu, dass in dem Chanson eigentlich das Thema Selbstbefriedigung besungen wird. Dem Publikum gefiel er trotzdem, denn bereits vor der letzten Wertung war Gall der Sieg sicher. Es war vielleicht gerade die Mischung aus verdorbener Unschuld, die Gall zumindest viel Aufmerksamkeit brachte. Tatsächlich schien die damals erst 17-Jährige nicht wirklich zu verstehen, welche Worte ihr Gainsbourg in den Mund legte. So sang sie völlig unbeschwert über Oralverkehr und Drogen, als gäbe es nichts Trivialeres.
Yéyé-Musik: Erfolgsgeheimnis von France Gall
Dass es das kleine Land zwischen Deutschland, Frankreich und Belgien war, das Mademoiselle Gall zum ESC-Sieg führte, hatte den schlichten Grund, dass ihre Musik allzu modern war für die Hörgewohnheiten in Frankreich. Isabelle Geneviève Marie Anne Gall, wie sie mit richtigem Namen heißt, zählte zu den jungen Heldinnen der Yéyé-Bewegung. Einer der Begründer war Serge Gainsbourg. Diese Richtung der Popmusik wollte mit den als tranig und allzu bürgerlich empfundenen französischen Chansons ästhetisch aufräumen: Yéyé - das war Spaß, das war jugendlich aufgeheizt, das war eine Musik, die gegen die Erwachsenen stand. Und Gall zählte zu ihren prominentesten Sängerinnen.
Karriereschub für Gall durch Sieg beim ESC 1965
Deutlich vor allen anderen entschied Gall den ESC in Neapel für sich. Ihr Titel war auch kommerziell gesehen in jenem Jahr der erfolgreichste. "Poupée de cire, poupée de son" hatte Elan und Esprit, es war das erste ESC-Siegeslied, das wie moderne, mit Energie aufgeladene Musik klang, nicht wie solche, die auch für Alte und Gesetzte infrage kam. Dass der Liedinhalt eine - für damalige Verhältnisse - schlüpfrige Bedeutung zwischen den Zeilen in sich trug, soll sich France Gall freilich nicht auf Anhieb erschlossen haben. Gleichwohl: Als sie von der möglicherweise erotisierenden Bedeutung im Lied erfuhr, war es für sie als Künstlerin mit diesem Lied zu spät. Sie soll entsetzt gewesen sein, aber da war dieser ESC-Siegesact längst ein Hit in sehr vielen Ländern. "Das war eine schöne Party" hieß die deutschsprachige Version. Gall sang ihn zum Wohlgefallen vieler und bewegte auch in der Bundesrepublik viele Menschen zum Plattenkauf. Die Französin war mit dem ESC auch über den französischsprachigen Bereich zum Star geworden.
"Ella, elle l'a" - Hommage an Ella Fitzgerald
Ein Jahr nach ihrem Sieg verlegte sie sich etliche Jahre auf ihre Karriere in Deutschland. Sie nahm an deutschen Schlagerfestspielen teil und hatte eine Fülle von Hits (unter anderem "Ein bisschen Goethe, ein bisschen Bonaparte" und "Der Computer Nr. 3"). Berühmt machte sie dann 1968 aber vor allem der Kracher "Zwei Apfelsinen im Haar (und an den Hüften Bananen)". Ursprünglich hieß das Lied "A Banda" und wurde 1966 von dem Brasilianer Chico Buarque geschrieben. Ein Jahr später veröffentlichte Astrud Gilberto den Song auf Englisch. Instrumental verhalf Herb Alpert dem Stück zur Chartspitze in den USA. France Gall verkörperte in jenen Jahren das Bild der niedlichen, neckischen und sexy performenden Französin - eine Art Gegenbild zu Frauen wie Edith Piaf oder später Mireille Mathieu. In den 80er-Jahren hatte sie noch einen Hit, und der übertraf fast all ihre früheren: "Ella, elle l'a“ - eine Hommage auf die amerikanische Jazzsängerin Ella Fitzgerald. In Deutschland stand sie damit 20 Wochen in den Charts, vier davon auf Platz eins.