Lord Of The Lost posieren auf einer Straße in Liverpool. © NDR Foto: Claudia Timmann

Lord Of The Lost: "Wir sind nicht nur die Band mit Feuer und Glitzer"

Stand: 08.05.2023 15:27 Uhr

Lord Of The Lost vertreten Deutschland beim Eurovision Song Contest in Liverpool. Vor dem großen Finale in einer Woche hat eurovision.de mit Sänger Chris Harms über Jetlag, Lampenfieber und die erste Probe gesprochen.

Vor dem ESC noch schnell durch Südamerika touren - unter anderem mit Iron Maiden, zwei Wochen nach dem ESC-Finale dann wieder quer durch Europa. Was sind eure Tipps gegen den Jetlag?

Chris Harms: Ich habe tatsächlich leider keine Tipps gegen Jetlag, weil ich so etwas nicht habe. Einfach aus dem Grund, dass ich keinen geregelten Tagesablauf habe. Also, ich stehe in der Woche immer sehr früh auf, weil ich meinen Sohn für die Schule fertig mache - und vorher noch Sport treibe. Aber das ist alles. Ansonsten arbeite ich manchmal zwölf Stunden am Tag, manchmal 20, manchmal eine, manchmal gar nicht. Ich habe manchmal Wochenende am Montag und Dienstag. Als Musikproduzent, Songwriter und Musiker habe ich einen stetig wechselnden Tagesablauf, dass ich so einen Jetlag wirklich nicht spüre.

Ich würde gerne Tipps geben, aber die habe ich tatsächlich einfach nicht. Und ich habe auch den Vorteil, dass ich immer und überall schlafen kann. Also ich könnte hier auf der Couch einfach sofort kurz schlafen. Deshalb muss ich da leider alle Jetlag-Tipps-Suchenden enttäuschen.

Ein paar Tage vor dem Finale ist wichtigste Frage: Bist du aufgeregt? Wie sieht es mit deinem Nervenkostüm aus?

Harms: Ich habe eigentlich ein extrem stabiles Nervenkostüm. Ich habe auch bei normalen Touren eigentlich gar kein Lampenfieber mehr, außer es sind ganz neue Situationen. Bei der ersten Show mit Iron Maiden war ich sehr aufgeregt, weil ich nicht wusste: Wie funktioniert das mit deren Publikum? Ich war vor ein paar Jahren bei der ersten Show mit dem Symphonieorchester sehr aufgeregt. Also, es gibt Situationen, wo ich aufregt bin. Aber ansonsten bin ich superstabil. Der ESC ist natürlich auch wieder etwas ganz Neues. Das heißt, ich schwanke immer, je nach Tagesform, manchmal auch im Minutentakt, zwischen völlig entspannt und teilweise fast panisch. Ich muss nur kurz einen kleinen Husten oder so merken, dann denke ich gleich: Werde ich jetzt krank? Also das schwankt. Aber es neigt sich sehr stark zur positiven Seite. Also ich bin nicht den ganzen Tag ängstlich, sondern ich freue mich eigentlich fast die ganze Zeit. Und ich kann es auch kaum erwarten, wieder zu proben.

Wir haben nach der ersten Probe eine Besprechung gemacht, was wir ändern. Und ich freue mich so darauf, diese Änderungen umzusetzen, weil ich weiß, sie machen die Show noch einmal besser. Und ich will es einfach endlich hinter mir haben, aber im positiven Sinne. Ich fühle mich wie so ein Pferd in dieser Startbox, das mit den Hufen scharrt. Und es will einfach losrennen. Ich möchte diesen Moment, den ich auch immer am meisten genieße: Der ist nach einem Konzert, wenn es gerade vorbei ist, der letzte Ton verklingt. Ich nehme die Kopfhörer aus dem Ohr, der Applaus kommt. Ich weiß, ich habe es geschafft, und alle können sich freuen. Und Entspannung setzt sein. Darauf freue ich mich am allermeisten.

Du hast die erste Probe erwähnt. Was ist dein Gefühl nach der ersten Probe, und was soll anders werden?

Harms: Das war ein sehr gutes Gefühl bei der ersten Probe. Da ging es mir erst einmal darum, dass alles klappt. Wir haben drei Durchläufe gemacht und haben von Durchlauf zu Durchlauf ein paar Dinge verändert. Noch einmal die Gerüste weiter nach hinten geschoben, da mehr Platz gemacht, hier mehr Platz gemacht. Wir haben uns danach alles auf die Sekunde angeschaut: jeden Schnitt, jeden Feuereinsatz, jeden Lichteinsatz. Und das war sehr viel mit Konzentration verbunden. Also, man ist bei einer Probe nicht in einem Konzertrausch, sondern es ist die Realität. Das heißt, man arbeitet wirklich. Und der ganz große Unterschied zu einem Konzert ist, dass ich nicht einfach mit einer großen Masse an Publikum kommuniziere, sondern eigentlich nur mit einer Person: Mit der Kamera, und das ist immer eine andere. Und ich muss genau wissen, welche das ist, weil als Sänger singen ist auch sprechen, Kommunikation. Und das geht nur in die eine Richtung, auch über die Augen. Und das geht direkt ins Herz.

Lord of the Lost auf der Bühne in Liverpool. © EBU Foto: Sarah Louise Bennett
Chris Harms von Lord Of The Lost will im Finale direkten Kontakt zum Publikum suchen. Dass sei wichtig für den Song.

Und der Song hat eine Message, und die soll auch ankommen. Wir sind nicht nur einfach die Band mit Feuer und viel Glitzer, sondern der Song bedeutet uns auch wirklich viel. "Wir sind alle vom gleichen Blut." "We are all from the same blood." Und, ich möchte, dass das auch rüberkommt. Und das ist wirklich bei den Proben für mich gerade so. Das Allerwichtigste, dass ich genau in dem Moment Kommunikation habe - und daran arbeiten wir gerade. Und wir werden bei der zweiten Probe auch die Bühne nach vorne noch erweitern. Das wir nicht nur auf der Hauptbühne stehen, sondern die Vorderbühne auch noch mitnehmen, weil: Ich habe mich bei der Probe gestern sehr wohlgefühlt, aber es fehlte im letzten Drittel die Steigerung, der Moment, wo es explodiert. Und da möchte ich gern nach vorne rennen. Ich möchte Energie, ich möchte im Publikum stehen. Ich glaube, das ist wichtig für den Song.

Da muss einiges umprogrammiert werden, weil technisch schon ganz viel voreingestellt ist. Schon der Einstieg in deine Performance ist eine Herausforderung. Dass du allein einen Ton singen musst - und du weißt nicht genau wie hoch. Meinst du, das wird sitzen?

Harms: Das wird sitzen, weil ich die Höhe tatsächlich weiß. Wir hören etwas auf den Ohren - uns selbst und die Musik. Das ist dieser sogenannte Monitor-Mix. Man hört auch einen sogenannten Metronom-Klick, der zählt mich ein. Und in diesem Metronom-Klick höre ich mich zweimal selber singen, voraufgenommen. Das heißt, ich höre "Blood & Glitter", "Blood & Glitter" (er singt und schnippt dabei mit den Fingern) Und dann fange ich an: "Blood & Glitter".

So ist der Klick. Dann habe ich die Chance, genau den Ton zu finden und im exakten Moment reinzufinden. Ansonsten würde das gar nicht gehen. Ich kann ja nicht einfach irgendwie starten und dann kommt auf einmal das Klavier, und ich bin in einer ganz anderen Tonart. Das ist der Trick, den man dort anwenden kann. Ich habe kein absolutes Gehör, aber ein sehr gutes relatives Gehör. Ich treffe diese Tonart eigentlich fast immer, wenn ich entspannt bin. Aber in dem Moment, unter dem ganzen Adrenalin und Endorphinen bist du dann vielleicht auch mal zwei Halbtöne höher. Also, so funktioniert das tatsächlich.

Interessant ist auch die Schuhfrage, das wolltest du ausprobieren. Im Video trägst du High Heels. Auf der Bühne auch?

Harms: Das habe ich auch ausprobiert, bei der ersten Probe. Es sind keine Stilettos, sondern Plateaustiefel mit zu acht, neun Zentimetern hohen Absätzen. Also, keine Sitzschuhe, sondern welche, auf denen man noch laufen kann. Und was ich besonders schön finde, dadurch, dass das eine Beine sehr nackt ist und das andere die rote Lack-Hose bedeckt, habe ich an dem einen Bein dementsprechend auch einen roten Lackschuh und beim anderen einen goldenen Glitzerschuh an. Er ähnelt mehr der Hautfarbe. Also, habe ich auch "Blood & Glitter" in den Schuhen. Das ist für mich ein ganz schönes Bild, ein Detail, das vielleicht im Fernsehen gar nicht wirklich rüberkommt - aber auf allen Fotos. Ich hätte gern tatsächlich noch einen Schuh-Close-up.

Wie lange braucht ihr, bis ihr bühnenfertig seid?

Harms: Auf Tour ungefähr eine Stunde. Beim ESC doch wesentlich länger, weil natürlich ein TV-Make-up wesentlich anspruchsvoller ist. Hier nehmen wir uns eher zwei Stunden pro Person Zeit.

Und ihr habt ja nicht fünf Maskenbildner dabei …

Harms: Doch, haben wir tatsächlich. Wir haben hier unsere Maskenbildnerin mit, vom NDR. Aber wir werden das dann bei der Show aufteilen, dass wir wirklich Maskenbildner vor Ort nutzen und wirklich parallel geschminkt werden.

Habt ihr ein Ritual vor der Show?

Harms: Wir haben nie wirklich über Rituale gesprochen und irgendetwas festgelegt. Aber das eine Ritual ist ein bisschen dieses Schminken. Gerade wenn wir uns auf Tour selber schminken, weil: Das machen wir in einem Raum, hören dabei Musik meistens Deichkind oder Scooter superlaut. Und dann schminken wir uns dabei, und das hilft uns, in die Stimmung zu kommen. Ich würde es gar nicht als neue Rolle bezeichnen - wir machen ja kein Theater. Das sind nach wie vor wir. Aber dass man diese, sagen wir mal exaltierte, etwas übertriebene Version von sich selbst einnimmt. Und zwei Minuten vorm Konzert kommen wir im Kreis zu fünft zusammen und unser Bassist Klaas macht dann immer eine kleine Motivations-Ansprache. Und dann geht es auf die Bühne.

Ihr habt viele ESC-Songs gecovert. Jetzt kennst du wirklich alle gut. Mit welchen Songs verbindest du besonders viel? Welchen fühlst du?

Harms: Als ich mir die alle durchgehört habe, am Anfang erst einmal nur so diesen Schnelldurchlauf, waren die ersten beiden, an denen ich kleben geblieben bin, der Beitrag aus Israel und aus Estland. Und ich habe mir wirklich in den letzten Wochen vorgenommen, nur die Eurovision-Playlist zu hören und gar keine anderen Bands. Weil ich nur in diesem Gefühl bleiben will. Und wenn man sich dann damit beschäftigt und noch einmal alles wirklich genau hört, merkt man, was einem zusagt und was nicht, rein geschmacklich. Es gibt Songs, mit denen kann ich einfach nichts anfangen und Songs, die ich sehr fühle.

Käärijä auf der Bühne in Liverpool. © EBU Foto: Sarah Louise Bennett
Käärijäs Song "Cha Cha Cha" zu interpretieren, war eine große Herausforderung für Lord Of The Lost.

Und jetzt gerade den französischen Beitrag zu singen, hat sehr, sehr viel Spaß gemacht. Es hat mir sehr gefallen. Und auch der italienische, zu dem ich am Anfang gar nicht so richtig einen Zugang hatte - und ich den eigentlich nur gesungen habe, weil ich wusste: Das ist ein Nachbarland, das ist Italien, das ist wichtig, ich mache das mal. Aber wenn man den Song selber singt, geht das auf einmal doch nah. So ganz überraschend, weil man sich dann anders damit auseinandersetzt. Und was mir am meisten Spaß gemacht hat - da haben wir auch ein Komplett-Cover in Band-Version gemacht - ist "Cha Cha Cha", der finnische Beitrag. Und das ist echt großer Sport, sich mit finnischer Sprache gesanglich auseinanderzusetzen.

Jetzt habt ihr neue Fans, ESC-Fans und alte Fans. Passen die beiden Fantypen zusammen?

Harms: Das typische ESC-Publikum Publikum ist für uns kein neues, sondern der Anteil ist größer geworden. Wir sind ja eine Band, die immer schon zwischen den Stühlen gestanden hat, zwischen sehr viel Rock, Gossip, Metal und Pop-Einflüssen.

Das Interview führte Thomas Mohr, Online-Teamchef.

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Lord of Lost auf der Bühne in Liverpool. © EBU Foto: Sarah Louise Bennett

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 13.05.2023 | 21:00 Uhr

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