Stand: 09.05.2015 16:02 Uhr

Was ist eigentlich ein Ohrwurm?

Porträtaufnahme des Musikwissenschaftlers Professor Reinhard Kopiez © Professor Reinhard Kopiez
Gegen lästige Ohrwürmer kann man wenig machen, weiß Musikpsychologe Reinhard Kopiez.

"Immer in die Ohr’n will er sich bohr’n … Dieses Tier, das ist der Ohrwurm". Schon Gottlieb Wendehals besang bei der deutschen Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest 1982 dieses sonderbare akustische Phänomen, einen bestimmten Song nicht mehr aus dem Kopf zu kriegen. Das kann ganz schön auf die Nerven gehen. Doch was ist eigentlich ein Ohrwurm? Und wie entsteht er? Prof. Dr. Reinhard Kopiez von der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Ohrwürmern und ihrer Entstehung: "Ein Ohrwurm ist eine unfreiwillige Klangvorstellung, die wir besonders in der populären Musik finden, aber auch durchaus bei klassischen Musikstücken", erklärt der Musikpsychologe. Der Fachbegriff für diese akustischen Plagegeister lautet "Involuntary Musical Imagery" oder kurz: INMI. Sie treten spontan und unvorhersehbar auf und lassen sich willentlich nicht beeinflussen.

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Das Heimtückische an Ohrwürmern ist, dass sie einen völlig unvermittelt und ohne jeden Anlass überfallen. Dabei verhält sich der Ohrwurm im Gehirn so, als ob wir das Musikstück tatsächlich hören würden:  "Wir brauchen gar keinen physikalischen Reiz, um im Auditiven Kortex - dem Teil des Gehirns, der für die Schallverarbeitung zuständig ist - Aktivierungen zu erzeugen. Schon alleine die Vorstellung einer Melodie bewirkt eine Aktivierung", weiß Professor Kopiez. Und selbst eine Melodie braucht es nicht unbedingt: "Im Prinzip kann jedes charakteristische Merkmal eines Songs ein 'Hook' (Haken) sein, der bei uns hängenbleibt und einen Ohrwurm auslöst. Das kann ein bestimmter Sound sein, ein Rhythmus, eine Stimme oder eine Textzeile." Begünstigt wird das Ganze durch häufige Beschallung: Je häufiger man ein Lied vorher gehört hat, desto wahrscheinlicher bekommt man davon einen Ohrwurm.

Gehirn im Unterhaltungs-Standby-Modus

Dass der Mensch Ohrwürmer bekommt, ist wohl evolutionsbedingt. So wird vermutet, dass das Gehirn sich auf den langen Wanderungen unserer Ahnen durch die Steppen langweilte und sich mithilfe von Ohrwürmern selbst unterhielt. "Eine Melodie, die ich am Vorabend vielleicht noch auf der Knochenflöte gehört habe, spielt jetzt in meinem Kopf weiter und macht mir das lange Wandern durch die sengende Sonne etwas erträglicher", veranschaulicht Professor Kopiez und spricht von einer Art 'Unterhaltungs-Standby-Modus'. Auch heutzutage stellen sich Ohrwürmer vor allem bei routinehaften Tätigkeiten wie Staubsaugen oder Autofahren ein - also immer dann, wenn das Gehirn eher unterfordert ist. Das passiert auch einem Professor: "Mein schlimmster Ohrwurm ist 'Das Lied der Schlümpfe' von Vader Abraham, und das zählt nun wirklich nicht zu meinen Lieblingssongs. Daran sieht man, dass unser Gehirn nicht sehr wählerisch ist, sondern sofort anspringt, wenn sich bestimmte Situationen einstellen."

Ohrwürmer in Wien

Alex Larke und Bianca Nicholas vertreten als Electro Velvet Großbritannien beim ESC in Wien © BBC/Sarah Dunn
"Still In Love With You" von Electro Velvet "liegt in einem Tempobereich mit starker Mitbewegungsanregung" und hat Ohrwurmqualität.

Im Vorfeld des ESC in Wien hat sich Professor Kopiez ein wenig mit den Songs beschäftigt, die jetzt schon bei vielen Fans für gewollte oder ungewollte Ohrwürmer sorgen. Zum Beispiel "Still In Love With You" von Electro Velvet: "Der Song liegt in einem Tempobereich mit starker Mitbewegungsanregung, aber der Rhythmus ist langweilig", analysiert er. Den Geigenklang findet er allerdings bemerkenswert, weil die Geige dank Alexander Rybak beim ESC positiv besetzt sei. Das könnte sich durch Electro Velvet allerdings schnell wieder ändern … Das Geigensolo von Maimuna im weißrussischen Beitrag "Time" dagegen begeistert den Ohrwurm-Experten durch seine Virtuosität, auch wenn der Titel selbst eher austauschbar sei. Unser deutschen Starterin Ann Sophie räumt er übrigens durchaus Chancen ein: "Ein solider Pop-Rock-Song, wie er im Lehrbuch steht: Refrain nach 30 Sekunden und eine Veränderung des Tempos im Mittelteil, um Spannung zu erzeugen. Das ist eine ganz gute Dramaturgie." Was ihn allerdings besonders überzeugt, ist Ann Sophies Performance: "Ich habe selten jemanden gesehen, der auf so hohen Schuhen so elegant gehen kann, in die Luft springt und dann auch noch heil wieder aufkommt. Das ist sicherlich mit Extrapunkten zu bewerten!"

 

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 23.05.2015 | 21:00 Uhr

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