Schreiber: "Es ist ein Versuch Türen zu öffnen"
Thomas Schreiber ist beim NDR der Leiter des Programmbereichs Fiktion & Unterhaltung und koordiniert in der ARD den Bereich Unterhaltung. Er hat den "Echo" zur ARD geholt und ist außerdem verantwortlich für Koproduktionen wie den "Baader-Meinhof-Komplex". Im Interview mit eurovision.de erklärt Schreiber die Entscheidung des Senders 2009 auf einen Vorentscheid zu verzichten und stattdessen mithilfe einer Jury einen erfolgversprechenden Kandidaten für Moskau zu nominieren.
eurovision.de: Ist der Verzicht auf eine deutsche Vorentscheidung nicht auch eine Kapitulation vor der schlechten Quote, die es im März beim Vorentscheid für Belgrad dieses Jahres gab?
Thomas Schreiber: Nein, auf gar keinen Fall, das ist es nicht. Es ist vielmehr der Versuch, Türen zu öffnen und Künstlern, die sich vielleicht einem Vorentscheid nicht stellen würden, die Möglichkeit zu eröffnen, sich für Moskau zu begeistern.
eurovision.de: Wie müssen wir uns den 54. Eurovision Song Contest dort vorstellen?
Thomas Schreiber: Die Kollegen vom russischen Fernsehen Channel One kenne ich und weiß, sie werden alles tun, damit diese Show weltweit die größte Show des Jahres wird.
eurovision.de: Was soll der Maßstab sein?
Thomas Schreiber: Die Russen werden sich ein bisschen an der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking orientieren. Und sie werden richtig großes Kino veranstalten. Wir suchen jemanden, der dafür brennt, für Deutschland nach Moskau zu gehen.
eurovision.de: Kennen Sie Moskau?
Thomas Schreiber: Wir haben einen Film über die normalen Menschen, die im Kreml arbeiten, gemacht. Den Zugang haben wir nach jahrelangen Verhandlungen und Gesprächen bekommen. Aus der Zeit weiß ich, Moskau ist wie New York eine Stadt, die niemals schläft. Eigentlich eine Stadt voller Lebenslust, voller Hunger auf Leben, mehr noch als in New York. Deutschland in Moskau zu vertreten, ist erstens eine große Ehre, zweitens kann das eine ziemlich tolle Party werden, drittens muss der deutsche Auftritt dort richtig einschlagen.
eurovision.de: Wollen prominente Künstler nicht an einer Vorentscheidung oder am ESC teilnehmen, um durch ein schlechtes Resultat nicht "verbrannt" zu werden?
Thomas Schreiber: Es gibt namhafte Künstler, die Scheu davor entwickeln, bei einem deutschen Vorentscheid zu scheitern. Selbst wenn man auf einen Vorentscheid verzichtet, wie wir das dieses Jahr tun, sind teilweise monatelange Überzeugungsgespräche notwendig, um jemand überhaupt zu begeistern. Das ist ein großer Ausdruck von Respekt vor dem Wettbewerb, aber aus meiner Sicht kommt eine mir unverständliche Angst hinzu, den eigenen Namen nicht zu beschädigen, wenn man 2009 in Moskau nicht Erster werden würde.
eurovision.de: Ist das nicht verständlich? Texas Lightning und Roger Cicero waren mit ihren Siegen beim Vorentscheid in Deutschland plötzlich ziemlich prominent - belegt auch durch ihre Charterfolge. International rissen sie dann jedoch nichts.
Thomas Schreiber: Ohne jetzt Namen zu nennen, aber selbst Künstler, die international schon einen Namen haben, die vielleicht sogar bereits Osteuropa kennen, haben diesen Respekt vor dem Contest.
eurovision.de: Laufen die Gespräche mit prominenten Acts noch?
Thomas Schreiber: Wir stehen seit Belgrad im Kontakt mit der Musikbranche. Das ist ja seit Jahren ein Dauerprozess. Der Verzicht auf den Vorentscheid ist eines der Resultate dieser Gespräche. Wir hoffen, dass wir mit der jetzt getroffenen Entscheidung namhafte Künstler gewinnen können, mitzumachen.
eurovision.de: Gab es aus der Musikbranche bereits Resonanz?
Thomas Schreiber: Ja, in E-Mails und in Telefonaten - und die sind sehr positiv.
eurovision.de: Steht fest, wann der deutsche Song präsentiert wird?
Thomas Schreiber: Nein, da gibt es vorher noch zu viel zu tun. Zunächst ist der Einsendeschluss für die Titel am 22. Januar - und dann beginnt die Auswahlprozess der Jury. Danach ist möglicherweise eine finale Fassung des Songs zu produzieren und der Bühnenauftritt abzustimmen. Ich persönlich habe einen Idealtermin für die Veröffentlichung des Titels im Blick …
eurovision.de: … den Sie nicht verraten?
Thomas Schreiber: Nein, weil wir nicht wissen, wann wir fertig werden.
eurovision.de: Früher hieß es seitens des NDR, eine gute Quote des Finales hat eine Vorentscheidung zur Voraussetzung, weil sonst kein Hype bewirkt werden kann. Und nächstes Jahr?
Thomas Schreiber: Ich hoffe natürlich, dass die Entscheidung, die die Jury trifft, überzeugend sein wird. Wobei man sagen muss, dass die deutsche Vorentscheidung vor Belgrad nicht gerade ein Straßenfeger war.
eurovision.de: Ist das Verfahren des nächsten Jahres das der kommenden Jahre?
Thomas Schreiber: Nein, es gilt einmalig nur für 2009. Es soll deutlich machen, dass es mit dem Eurovision Song Contest nicht so weiter gehen konnte.
eurovision.de: Ist die Jury, die den deutschen Act wählt, geheim?
Thomas Schreiber: Es ist eine Jury von Professionals geplant, aber ihre Namen geben wir erst bekannt, wenn die Entscheidung getroffen wurde.
eurovision.de: Weshalb?
Thomas Schreiber: Um jede Einflussnahme von außen auf diese Jurymitglieder zu vermeiden.