Boggie: "Ich akzeptiere Singen als meine Aufgabe"
Aus Waffen wächst ein Lebensbaum: So symbolträchtig unterstreicht das Bühnenbild in Wien die Friedensbotschaft der ungarischen Interpretin Boglárka Csemer alias Boggie. Im Interview mit eurovision.de erklärt die 28-Jährige, warum sie mit ihrem Song ein Zeichen setzen will und was französische Chansons damit zu tun haben.
Frau Csemer, die deutsche Sängerin Nicole gewann vor 33 Jahren den Eurovision Song Contest mit dem Lied "Ein bisschen Frieden" - mitten im kalten Krieg. 2015 singen auch Sie von der Notwendigkeit des Friedens. Hat sich seither nichts verändert?
Boggie: Ich muss zugeben, dass ich Nicoles Lied nicht kenne, aber ich bin sehr froh darüber, dass es beim Eurovision Song Contest schon einmal ein Lied wie meines gab. Unglücklicherweise ist das Thema Krieg im Augenblick sehr aktuell, und ich bin davon überzeugt, dass es auch Aufgabe des Wettbewerbs ist, die Menschen für diese Dinge zu sensibilisieren - nicht nur Show und Unterhaltung zu zeigen. Ich bin durch Europa getourt, um in verschiedenen Städten Flashmobs zu organisieren. Auch das hat mir gezeigt, dass die Menschen das Verbindende suchen, nicht das Trennende.
"Wars For Nothing" bietet keine Lösungen, sondern beschreibt eher die aktuelle Situation auf der Welt. Was ist Ihre persönliche Antwort auf die Frage, wie sich Kriege ein für allemal beenden lassen?
Boggie: Da bin ich nicht ganz Ihrer Meinung, denn das Lied endet mit der Textzeile "… all the souls deserve a chance at life", und das ist nicht nur eine Beschreibung, sondern ein Statement, nämlich dass jeder ein Recht auf Leben hat. Der Text ist von einer meiner Freundinnen geschrieben worden, mit der ich schon auf meinem ersten Album zusammengearbeitet habe. Wir haben sehr lange an dem Text gefeilt, auch wenn er sehr allgemein gehalten ist, aber es gibt eine Menge schöner Metaphern darin. Diese letzte finde ich besonders schön.
2005 waren Sie ein Jahr in Paris, Sie sprechen und singen fließend französisch. Woher kommt diese Begeisterung für Frankreich?
Boggie: Das geht noch auf meine Gymnasialzeit zurück. Mein Stammkurs war Französisch, da musste ich wohl oder übel Französisch lernen … (lacht) Ich habe mich aber sofort in die Sprache verliebt, denn ich bin ein sehr logisch denkender Mensch, und die französische Grammatik ist für mich sehr viel logischer als zum Beispiel Englisch, wo es lauter Ausnahmen gibt. Ich war dann ein Jahr als Au-Pair in Paris, wo ich mich um zwei kleine Kinder kümmern musste. Das hat mich Verantwortung gelehrt, denn ich war für die beiden eine Art Ersatzmutter. In Ungarn habe ich dann neben der musikalischen Ausbildung weiter Französisch studiert.
Was haben Sie aus Ihrer Zeit in Frankreich für sich persönlich mitgenommen?
Boggie: Ich habe mich damals intensiv mit französischen Chansons beschäftigt, und bis heute stammen fast alle meine Lieblingssänger aus dem französischsprachigen Raum, zum Beispiel Jacques Brel. Ich liebe die Musik aus den goldenen Jahren des Chansons, weil sie so schlicht und schnörkellos ist. Sie vermittelt Werte, die heutzutage ein wenig aus der Mode gekommen sind, die mir aber viel bedeuten. Und ich bin sicher, dass sich die Menschen heute mehr denn je nach solchen aufrichtig gemeinten Botschaften und Emotionen in der Musik sehnen.
Sie machen Popmusik, sind aber gleichzeitig auch eine hervorragende Jazzsängerin. In welchem musikalischen Bereich sehen Sie sich in Zukunft?
Boggie: Das ist wirklich schwer zu sagen. Ich habe mich mit so vielen Musikrichtungen beschäftigt, Pop, Jazz, Chanson und sogar Country. Als ich meine ersten eigenen Lieder geschrieben habe, sind all diese Einflüsse zusammengeflossen und zu etwas Neuem verschmolzen. Auf meinen Alben lassen sich die einzelnen Inspirationsquellen gut wiedererkennen. Ich mag diese Mischung, denn sie macht mich als Künstlerin aus.
Was ist für Sie in einem Song wichtiger, die Musik oder der Text?
Boggie: Beides ist wichtig aber … Manchmal hört man ein Lied in einer fremden, unbekannten Sprache, aber man spürt die Emotionen und kann es genießen, ohne ein Wort zu verstehen. Daher glaube ich, dass die Musik ein kleines bisschen wichtiger ist. Wobei der Text bei "Wars For Nothing" natürlich eine sehr große Rolle spielt, aber ich bin davon überzeugt, dass ich die Emotionen alleine durch meine Stimme vermitteln kann.
In Ihrem Lied "Nouveau parfum" kritisieren Sie die Manipulation der Menschen durch die Werbung. In Deutschland glauben immer mehr Menschen, die öffentliche Meinung wird durch die Medien manipuliert - auch was die Einstellung zu "gerechtfertigten Kriegen" angeht. Wie erleben Sie das in Ungarn?
Boggie: In Ungarn ist das ähnlich. Ich habe viele Reaktionen von Müttern erhalten, die sich für das Lied und das Video zu "Nouveau parfum" bedankt haben, weil sie so ihren Kindern zeigen konnten, wie sehr Bilder manipuliert sein können und dass man nicht alles glauben darf, was einem gezeigt wird. Ich habe da erst wirklich begriffen, dass ich mit meiner Musik wichtige Botschaften vermitteln kann, und welche Verantwortung ich als Künstlerin tatsächlich trage. Manchmal macht mir das Angst, aber ich habe das Singen als meine Aufgabe akzeptiert.