Stand: 27.11.2014 09:21 Uhr

"Ich will den ESC in Wien nicht moderieren"

Conchita Wurst auf einem Sofa beim Interview © NDR Foto: Patricia Batlle
Die Rolle als Bondgirl wäre nichts für Conchita Wurst - aber ein Titelsong für den nächsten Bond-Film schon.

Conchita Wurst ist Designerin, Sängerin, Tänzerin und Siegerin des 59. Eurovision Song Contest in Kopenhagen. Neuerdings ist der Job als Synchronsprecherin hinzugekommen: Conchita spricht in der deutschen Fassung des Animationsabenteuers "Die Pinguine aus Madagascar" die russische Spionin und Eule Eva. Ein Interview über Eulen, Helden, Bondgirls, den Privatmenschen Tom Neuwirth, der hinter Conchita steckt, und ihre Pläne für den 60. ESC in Wien.

Sie haben eine schöne Sprechrolle als Schneeeule in "Die Pinguine aus Madagascar". Wir hätten gerne mehr von Ihnen gehört!

Conchita Wurst: Die Eule Eva spricht tatsächlich sehr wenig. Sie ist wahnsinnig cool. Und ich wäre gern wie sie in vielen Situationen. Ich halte mich für eine entspannte Person, aber in gewissen Momenten wäre es doch besser, einfach den Mund zu halten und abzuwarten. Das habe ich von ihr mitgenommen.

Wie war der Castingprozess?

Wurst: Mein Büro hat die Anfrage bekommen und mein Manager sagte dann beim nächsten Meeting: 'Es gibt eine Anfrage für eine Synchronrolle', und ich sagte: 'Ja, machen wir!' Ich war deshalb so euphorisch, weil das Synchronsprechen schon immer etwas war, das ich erleben wollte. Weil ich es mir spannend vorstelle und weil ich es mag, dazuzulernen. Zum nächsten war da noch dieser russische Akzent von Eva, den ich großartig fand.

War den Österreichisch nie Thema?

Wurst: Nein, ich muss sagen, dass ich mich auf Österreichisch schwerer getan hätte, weil das wiederum der Zauber der Perücke ist. Ich kann als Conchita nicht im österreichischen Dialekt sprechen. Es fühlt sich unecht an. Tom spricht ganz furchtbar, im steierischen Dialekt.

War diese Wunscherfüllung geprägt von Ihren Kindheitserinnerungen an Trickfilme?

Wurst: Ich bin ein Riesenfan von Arielle, der kleinen Meerjungfrau. Ich finde diese Geschichte so wahnsinnig schön. Ich habe die Stimme von dieser Meerhexe geliebt. Die war so imposant.

Wie groß wäre denn die Lust, beim nächsten James-Bond-Film als Bondgirl anzuheuern?

Wurst: Ich würde das nicht machen. Das Bondgirl wäre nicht meine Rolle. Ich wäre doch lieber die Gegenspielerin von James Bond, die am Ende des Tages wahrscheinlich getötet wird. Prinzipiell: Wenn man eine Rolle im passenden Hollywoodstreifen angeboten bekommt, wäre man dumm, es abzulehnen.

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"Rise Like a Phoenix" klang ja schon wie ein Bond-Song, ein Titel für einen Bond-Film - das wär's doch eigentlich!

Wurst: Das würde ich liebend gerne machen!

Gibt es schon Rollenangebote, um Sie im Kino nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen?

Wurst: Es gibt keine Angebote, aber ich denke, ich weiß, woran es liegt. Ich könnte im Moment nur eine Rolle spielen, die der bärtigen Frau. Ich habe mir sagen lassen, dass diese Rollen eher selten sind (lacht).

Sie haben vor der UN gesungen, vor dem EU-Parlament, mit Jean Paul Gaultier gearbeitet - das ist ein wilder Mix. Was kommt als Nächstes?

Wurst: Das weiß ich nicht. Mein Konzept ist, ich will Spaß haben und mich zu nichts zwingen müssen. Ich kann lustige Dinge machen, frivole Dinge machen, wie eine Woche im Crazy Horse in Paris zu tanzen, aber auch mit Herrn Ban Ki Moon ein Vier-Augen-Gespräch führen. Ich mag Vielfältigkeit. Für mich reicht eine Schublade nicht aus. Aber jemand muss das Album aufnehmen! Und dann mache ich das eben.

Ihre neue Single "Heroes" verlässt die orchestrale Schiene und geht Richtung Elektropop, wo soll Ihr neues Album musikalisch hingehen?

Die Sängerin Conchita Wurst im Synchronstudio © 2014 DreamWorks Animation LLC/Penguins Of Madagascar Foto: Margarete Redl von Peinen
Conchita möchte noch mehrere Alben machen - mit und ohne Orchester.

Wurst: In alle Richtungen, die es zulässt, ohne dass es den Hörer überfordert. Ich habe musikalisch so viele Interessen. Was man beim Song Contest gehört hat, ist das, womit ich aufgewachsen bin. Die erste CD die ich gehört habe, war eine Compilation an Filmmusik. Das einzige Lied, das mir darauf gefallen hat, war "Goldfinger" von Shirley Bassey. Für den Song Contest habe ich mir gedacht, hier macht man keine Experimente. Man macht das, was man kann und was man liebt. Und wenn es nicht klappt, hat man trotzdem etwas gemacht, womit man ehrlich dort stehen kann. Deswegen wird das Album sicher eine neue Seite von mir, weil ich mich auch weiterentwickeln möchte. Nichtsdestotrotz werde ich das Orchester nicht verlieren. Aber es wird nicht bei jeder Nummer so präsent sein. Vielleicht aber auch bei keinem Song. Ich habe auf jeden Fall vor, noch mehrere Alben zu machen.

Sie singen in "Heroes" davon, dass alle Menschen Helden sein können. Wer ist für Sie ein Held?

Wurst: Jeder kann ein Alltagsheld sein, zum Beispiel mit dieser Entscheidung, jemanden zu respektieren, und darüber nachzudenken, warum man so ist, wie man ist. Weiteres ist jemand für mich ein Held, der etwas opfert. Zu dieser Kategorie Held wird die Luft schon sehr dünn.

Für viele Menschen sind Sie eine Heldin. Wie gehen Sie damit um?

Wurst: Ganz schlecht. Weil ich nichts selbstloses mache. Ich opfere mich nicht auf.

Aber Sie kämpfen - und der Kampf wird anerkannt.

Wurst: Ja, aber aus sehr egoistischen Gründen. Ich mache das, weil ich das will. Niemand hat mir gesagt, hey, Conchita, sag mal das, weil das gut ankommt.

War Ihnen beim ESC-Finalauftritt in Kopenhagen bewusst, dass 180 Millionen Zuschauer vorm Fernseher sitzen?

Wurst: Ich habe aus meinen Augen keine Erinnerungen mehr an den Moment. Ich weiß noch, wie das Publikum von oben aussah, weil ich auf der Bühne mit all diesen Proben gefühlt 36 Mal gestanden habe. Aber der Moment an sich - ich habe keine Ahnung. Ich kann es nur wiedergeben, wenn ich mir selbst auf Videos zusehe. Und das ist: eine große Überraschung, Misstrauen, ob das auch wirklich wahr ist und ob ich gemeint bin. Und unendliche Freude.

Für den ORF sind Sie momentan unverzichtbar...

Wurst: (schmunzelt) Ich bin wenigstens ein Jahr unverzichtbar, das ist schön.

Werden Sie den ESC in Wien moderieren?

Wurst: Ich werde nicht das ganze Ding moderieren, definitiv nicht. Ich dachte zu Beginn, das würde mir große Freude bereiten, aber ich nehme mir dadurch viele wichtige Blöcke weg. Man muss auch sagen wie es ist. Man kriegt so eine Medienaufmerksamkeit so schnell nicht wieder. Und sich dort musikalisch zu präsentieren ist auch nicht so eine unkluge Idee. Trotzdem würde ich gern in einer moderierenden Funktion diesem Event beiwohnen. Mein Plan wäre es, im Green Room zu sitzen, weil ich glaube, das kann ich ganz gut. Ich weiß, wie man sich da fühlt. Moderatoren sind halt immer ein bisschen entspannter, als die Kandidaten. Ich denke, dass ich mich da gut reinversetzen und sie vielleicht ein bisschen ablenken kann.

Ist nach dieser Medienaufmerksamkeit der letzten Monate etwas Ruhe eingekehrt?

Wurst: Ich reise nach wie vor sehr viel. Dafür bin ich auch sehr dankbar. Gerade weil man in dieser Branche keine Garantie hat. Das Showbusiness ist nicht umsonst eines der härtesten. Deswegen arbeite ich kontinuierlich und ruhe mich auf nichts aus.

Leben Sie jetzt genau das Leben, das Sie sich erträumt haben?

Wurst: Es ist definitiv der Beginn des Lebens, das ich immer führen wollte. Ich bin dankbar für alles, was passiert ist. Der Song Contest ist definitiv der bisherige Höhepunkt meiner Karriere. Er soll aber nicht der einzige bleiben. Das ist meine Motivation. Das war der Türöffner für eine neue Welt. Jetzt liegt es an mir, ob ich den Schlüssel verlege, oder nicht.

In Österreich brach nach der Entscheidung, dass der ORF Sie direkt besetzt hatte, ein Shitstorm aus. Wie gehen Sie mit solchen Reaktionen um?

Wurst: Ich gehe damit sehr unhöflich um. Es ist mir vollkommen egal. Ich kann Kritik annehmen, wenn sie konstruktiv ist. Eigentlich stimmt es mich sogar ein bisschen dankbar. Denn wenn man so viel Zeit hat, sich so intensiv mit etwas auseinanderzusetzen, was man so offensichtlich nicht mag, dann bin ich den Kritikern ja wahnsinnig wichtig. Meine Erziehung fordert da eigentlich ein Dankeschön.

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Sie sind den ganzen Tag als Conchita unterwegs, kommen nach Hause, schminken sich ab, sind wieder Tom. Wie schafft man es, beide zu vereinen?

Wurst: Es ist gar nicht schwer. Der Bruch zwischen Conchita und Tom ist dermaßen körperlich spürbar, dass ich dann in einem anderen Stadium der Entspannung bin. Ich sage das jetzt nicht, weil ich jammern will, ich mache das ja aus freien Stücken. Aber eine Dragqueen zu sein, ist zu 70 Prozent Schmerzen. Und wenn diese Schmerzen aufhören, ist man einfach wie neugeboren (lacht). Als Tom genieße ich es sehr, all das zu machen, was ich als Conchita nicht machen würde. Tom ist halt Tom, der macht halt, was er immer gemacht hat.

Sie erhalten viel Fanpost. Welche Zuschriften berühren Sie am meisten?

Wurst: Ich habe wahnsinnig viele verschiedene bekommen. Ich war immer wieder so dankbar und überrascht, ob der Herzenswärme und der Großzügigkeit, die mir da entgegenkam. Dabei waren Geschichten von Menschen, die ihr Leben lang im Büro verbracht haben und jetzt eine Floristenlehre machen. Weil sie gesagt haben, ich wollte das mit dem Büro eigentlich nie machen. Dann habe ich Conchita gesehen und mich gefragt, warum mache ich eigentlich nicht das, was ich immer wollte. Das ist überwältigend, das verstehe ich immer noch nicht. Ich lasse mich von Menschen inspirieren. Aber dass ich jemals für jemanden eine Inspiration sein werde, hätte ich mir nie träumen lassen.

Das Interview führte Patricia Batlle

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 10.05.2014 | 21:00 Uhr

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