Stand: 20.02.2019 10:41 Uhr

Peony für Rumänien: Voting gegen Homophobie?

Die Gewinnern des rumänischen Vorentscheids, Ester Peony, hält ihre Arme in die Luft. © Facebook Eurovision Romania
Die Sängerin Ester Peony wird Rumänien beim ESC-Finale in Tel Aviv vertreten.

Eigentlich hätte alles so schön sein können: Am Ende eines rundum gelungenen Abends gewinnt die 25-jährige Ester Peony völlig überraschend die rumänische Vorentscheidung und darf ihr Land beim Eurovision Song Contest in Israel vertreten. Doch das sonst so beliebte Outsider-schlägt-Favoriten-Märchen (man erinnere sich an den Überraschungssieg von Elaiza gegen Unheilig beim deutschen Vorentscheid 2014) hat in den rumänischen Medien, aber auch unter den Fans im Internet einen Aufschrei ausgelöst - aus sehr unterschiedlichen Motiven. Im Mittelpunkt der Kontroverse stehen die Fan-Blogger William Lee Adams und Deban Aderemi der beliebten Plattform Wiwibloggs. Doch was genau ist überhaupt passiert?

Jury- und Publikum-Wertung nicht gleichberechtigt

Wie in vielen nationalen Vorentscheidungsformaten üblich, hatte das rumänische Fernsehen eine international besetzte Jury eingeladen, um über den heimischen ESC-Beitrag mitzuentscheiden. Unter den Mitgliedern fanden sich neben ESC-Gewinnerin Emmelie de Forest und der israelischen TV-Produzentin Tali Eshkoli, die auch schon in der internationalen Jury der französischen Vorentscheidung "Destination Eurovision" saß, die beiden Blogger aus London, deren unterhaltsam-extrovertierte Art von vielen Fans geschätzt wird. Die Stimme jedes einzelnen Jurors hatte so viel Gewicht wie die Wertung des gesamten Publikums, und so landete die klare Zuschauerfavoritin Laura Bretan durch Juryentscheid nur auf Platz zwei, während sie bei Gleichgewichtung von Jury und Publikum den Wettbewerb gewonnen hätte.

Favoritin Laura Bretan verliert - Stunde der Verschwörungstheoretiker

Dass die Jury das Publikum überstimmt, passiert immer wieder mal. Dass aber gerade jetzt die Stunde der Verschwörungstheoretiker schlägt, hat einen konkreten Grund: Die 16-jährige Laura Bretan, die 2016 als Casting-"Supertalent" sowohl in Rumänien als auch in den USA Erfolge feiern konnte, hatte sich im vergangenen Jahr in einem Wahlkampfspot für ein verfassungsrechtliches Verbot der Ehe für alle ausgesprochen - "für unsere Familien, wie Gott sie gewollt hat". Ein entsprechendes Referendum fand im Oktober 2018 statt und die Gegner der Ehe für alle konnten sich nicht durchsetzen. Eigentlich hätte also kein Hahn mehr nach diesem Spot gekräht. Doch nun werden die beiden Wiwiblogger bezichtigt, Laura Bretan die verdienten Punkte vorenthalten zu haben, um sie für ihr vermeintlich homophobes Statement abzustrafen - das schreibt unter anderem die rumänische Tageszeitung Adevărul.

Meinung geändert oder gegen (vermeintliche) Homophobie gevotet?

Tatsächlich hatten sich William Lee Adams und Deban Aderemi zuvor sehr positiv zu Laura und ihrem Titel "Dear Father" geäußert. In der Finalabstimmung gaben sie ihr jedoch nur sechs bzw. vier Punkte und damit deutlich weniger als ihre Mitjuroren. Zufall? Vielleicht, denn grundsätzlich hat jeder das Recht, seine Meinung zu ändern, und der Liveauftritt von Ester Peony konnte einem durchaus besser gefallen als Laura Bretans Bombast-Ballade. Ein gewisser Eric Krüger, der den umstrittenen Wahlkampfspot am 10. Februar auf YouTube gepostet hatte, feierte die beiden Wiwiblogger dagegen als Verhinderer einer vermeintlich homophoben Teilnehmerin - und schürte damit den Glauben an eine schwule Verschwörung gegen die Zuschauerfavoritin.

Bloße Unterstellung obskurer Beweggründe

Dass sich weder das rumänische Fernsehen noch die beiden Wiwiblogger zu den Vorwürfen äußern, ist nachvollziehbar, handelt es sich dabei doch um eine bloße Unterstellung obskurer Beweggründe. Allerdings hat sich der Fernsehsender mit einem Wertungsverfahren, das die heimischen Zuschauer nur mit 14 Prozent berücksichtigt und ihnen dafür 50 Cent pro Anruf abknöpft, sicherlich keinen Gefallen getan. Viele Fans von William Lee Adams und Deban Aderemi zeigten sich dagegen enttäuscht, dass die beiden ihre journalistische Neutralität aufgegeben hätten, um bei einer nationalen Vorentscheidung Zünglein an der Waage zu spielen. Dabei sind es doch gerade die meinungsstarken, alles andere als journalistisch neutralen Kommentare, die bislang den Erfolg von Wiwibloggs ausgemacht haben.

Glaubwürdigkeit des ESC nicht aufs Spiel setzen

Die Causa Wiwi sollte bei den Fernsehverantwortlichen in ganz Europa die Alarmglocken schrillen lassen. Der Eurovision Song Contest lebt davon, dass seine Ergebnisse, wenn schon nicht immer nachvollziehbar, so doch zumindest glaubwürdig sind. Die EBU hat viel dafür getan, dass die Zusammensetzung der Länderjurys nach transparenten Kriterien erfolgt, die eine faire Abstimmung sicherstellen sollen. Wenn diese Glaubwürdigkeit bei den nationalen Vorentscheidungen untergraben wird, weil diese Kriterien keine Beachtung finden (und der Ehemann einer Teilnehmerin in der Jury sitzt, wie in Estland, oder zwei Angehörige des gleichen Fanmediums das Endergebnis zu fast einem Drittel bestimmen, wie in Rumänien) wird sich das über kurz oder lang auch auf das Image des internationalen Wettbewerbs niederschlagen. Und sobald die Zuschauer der Abstimmung nicht mehr vertrauen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie dem ESC ganz den Rücken kehren.

Weitere Informationen
Publikum beim Eurovision Song Contest 2019. © eurovision.tv Foto: Andreas Putting

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Dieses Thema im Programm:

NDR Blue | ESC Update | 20.02.2019 | 10:15 Uhr

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