Stand: 09.04.2019 15:21 Uhr

Jerusalem: Fußball gegen Rassismus und Gewalt

von Hannah Lesch, Tobias Zuttman, Björn Rohwer

Durch ein fast leeres Stadion hallen Fangesänge, und es wehen Fahnen. Dabei wird rhythmisch getrommelt. Das Teddy-Stadion ist eine der größten Arenen Israels, Austragungsort für Spiele der Nationalmannschaft und Spielstätte aller Jerusalemer Vereine. Auch Drittligist Beitar Nordia Jerusalem trägt hier seine Heimspiele aus. Bei der Partie gegen Hakoah Ramat Gan stehen knapp 100 Fans mittig auf der Haupttribüne. Fast alle kennen sich persönlich. Schaut man nur auf diesen einen Fanblock, könnte es auch die Ultra-Gruppierung eines großen Vereins sein - so bunt und engagiert ist dieser harte Kern. Im Rest des Stadions? Eine Hand voll Gästefans und knapp 31.600 leere Sitze.

VIDEO: Beitar Nordia: Fußball gegen Rassismus (4 Min)

Gruppierung "La Familia" skandierte "Tod den Arabern"

Die Fans von Beitar Nordia sind wie bei jedem Spiel mit viel Einsatz dabei. Egal, wen man fragt - die Geschichte beginnt nicht mit der Liebe zu ihrem Club. Sie beginnt immer mit Erzählungen über eine alte Liebe. "Ich war 26 Jahre lang Fan von Beitar Jerusalem. Aber in letzter Zeit konnte ich mich einfach nicht mehr mit dem Verein identifizieren."

Daniel Rotem ist eines der Gründungsmitglieder von Beitar Nordia. Er musste in den letzten zehn Jahren mitansehen, wie rassistische Ultras die Macht über die Fankurve erlangten. Die Gruppierung "La Familia" skandierte bei Spielen "Tod den Arabern" oder "Beitar bleibt auf ewig rein". Dass Beitar Jerusalem als einzige Mannschaft der ersten israelischen Liga noch nie einen arabischen Spieler unter Vertrag hatte, ist für den Verein ein Gütesiegel.

Beitar Nordia: "Rassistischster Verein der Welt"

2013 - der Tiefpunkt: Es gab einen Brandanschlag auf das Vereinsheim, nachdem Beitar Jerusalem zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren zwei Tschetschenen muslimischen Glaubens verpflichtete. Plötzlich landete der Club auch außerhalb Israels in den Nachrichten und wurde in den Medien als "rassistischster Verein der Welt" betitelt. Für "La Familia" wie eine Auszeichnung - für die liberalen Fans zu viel. "Das war unser Team - unser ganzes Leben lang. Wir wollten aber ein Team ohne Gewalt und ohne Rassismus. Ein Beitar, mit dem wir uns wieder identifizieren können", erinnert sich Renan Ohana an die Gründungszeit von Beitar Nordia.

Mehr als nur Fußball

Fußballfan im Stadion ESC Beitar Nordia
Taer Zaru ist einer der wenigen arabischen Fans von Beitar Nordia.

Seitdem hat es der Verein bis in die dritte israelische Liga geschafft und versucht gerade mit Jugendarbeit die Zukunft des Jerusalemer Fußballs zu verändern. Dabei geht es nicht nur um Fußball, erzählt Renan. "Ich bin in einem Team, das in Schulen geht und den Schülern Toleranz beibringt. Ja, bei uns geht es um Sport, aber auch um Frieden und Liebe." Werte, die auch im Stadion gelebt werden. "Jetzt, nach ein paar Jahren, können wieder Kinder ins Stadion kommen und es ist unwichtig, welche Religion wir haben," freut sich Taer Zaru. Er ist einer der wenigen arabischen Fans von Beitar Nordia.

Wieso gibt es so wenige Araber bei Beitar Nordia, wenn der Verein doch für Toleranz steht? "Viele arabische Fußball-Fans hören Beitar und denken, dass das dieser rassistische Club sei. Die haben keine Ahnung, dass Beitar auch für etwas anderes stehen kann." Das liegt nicht nur daran, dass Beitar Jerusalem einer der größten Vereine des Landes ist. Beitar Nordia sieht dem großen Pendant auch zum Verwechseln ähnlich. Sie haben ein fast identisches Logo und dieselben Vereinsfarben, denn so ganz wollten die Fans sich dann doch nicht von ihrem Ex-Club trennen.

Weitere Informationen
Ein Fan bringt die Flagge des Vereins Beitar Nordia im Stadion an

Der Fußballverein Beitar Nordia Jerusalem

Nach rassistischen Ausschreitungen bei ihrem Ex-Club haben Fans den Verein Beitar Nordia gegründet. Durch ihn wollen sie den Fußball in Jerusalem toleranter machen. Bildergalerie

Für ein vereintes Beitar

Im letzten Jahr haben die Mitglieder von Beitar Nordia das Ziel in ihre Satzung aufgenommen, langfristig auf ein vereintes, tolerantes Beitar Jerusalem hinzuarbeiten - sowohl mit sozialem Engagement als auch sportlichem Erfolg. "Wir wollen so weit gehen, wie wir können. Gerne auch bis zur Champions League. Wir wollen so groß werden, dass Beitar Jerusalem uns braucht", sagt Renan.

Bis zum europäischen Spitzenfußball ist der Weg aber noch weit. Gegen Hakoah Ramat Gan haben sie 0:2 verloren und bleiben weiterhin im Mittelfeld der Drittliga-Tabelle. An der guten Stimmung ändert eine Niederlage aber nichts. Unter Applaus verlassen die Spieler das Feld. Auch wenn es in dieser Saison weder um den Auf- noch Abstieg geht, der harte Kern wird auch beim nächsten Spiel wieder für Stimmung sorgen.

 

Dieses Thema im Programm:

NDR Blue | ESC Update | 27.04.2019 | 19:05 Uhr

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