Conchita: "Das Publikum kann man nicht belügen"
Beim deutschen Vorentscheid in Hannover hat die amtierende ESC-Königin die Fans mit "Rise Like A Phoenix" in Erinnerungen schwelgen lassen. Außerdem stellte Conchita, die inzwischen einen Teil ihres Künstlernamens abgelegt hat und sich nun nicht mehr Wurst nennt, ihre neue Single "You Are Unstoppable" vor. Nach der Show ist sie allerdings nicht direkt wieder aus Deutschland abgereist, sondern noch nach Hamburg gefahren. Eurovision.de hat die Chance genutzt, die amtierende ESC-Königin dort für ein Interview zu treffen.
Deine neue Single "You Are Unstoppable" ist draußen. Der Song hat mit "Rise Like A Phoenix" die Conchita-Dramatik gemeinsam ...
Conchita: Ja, ohne Dramatik geht es auch gar nicht! Also das liebe ich einfach, das würde mir sonst fehlen. Das Lied ist von einem schwedischen Songwriter, der eigentlich dafür bekannt ist, Heavy-Metal-Songs zu schreiben. "You Are Unstoppable" war anfangs viel rockiger, als es dann geworden ist.
Beim deutschen Vorentscheid in Hannover haben wir den Act gesucht, der beim ESC in Wien bestenfalls deine Nachfolge antritt. Deutschland hat Andreas Kümmert gewählt, der aber ablehnte. Wie hast du diesen Moment erlebt?
Conchita: Ich stand hinter der Bühne, weil alle Künstler gebeten wurden, sich für das Schlussbild auf der Bühne einzufinden. Man merkte dann auch schon, dass Andreas Kümmert sich irgendwie ein bisschen verhalten gefreut hat. Was dann passiert ist, war natürlich wahnsinnig unerwartet.
Du hast das ganze Drumherum beim ESC in Kopenhagen selbst erlebt. Kannst du verstehen, dass Andreas Kümmert sich dafür nicht bereit fühlt?
Conchita: Wenn man sich in diesen Charakter hineinversetzt, so gut es geht, ist es verständlich. Für mich ganz persönlich ist es nicht verständlich. Ich liebe es einfach, in der Öffentlichkeit. Aber bei all dem, was Andreas Kümmert jetzt übel genommen wird - teilweise vielleicht auch zu Recht - sollte man nicht vergessen, dass er nur ein Mensch ist. Von daher finde ich, dass man sich darauf konzentrieren sollte, Ann Sophie ein gutes Gefühl zu geben und ihr Unterstützung zu schenken.
Wie findest du denn Deutschlands ESC-Kandidatin Ann Sophie?
Conchita: Ich finde, dass von ihren beiden Songs der richtige Song gewählt wurde. Ich habe im Vorfeld nicht viele Songs gehört - wenn man dann für die Proben in der Halle ist und so beiläufig die Beiträge der anderen mitbekommt, dann bleibt das hängen, das Emotionen auslöst. Da war Ann Sophie definitiv dabei. Für mich waren die richtigen Songs im Finale. Ich finde Ann Sophie großartig.
Was erwartet sie in den nächsten Wochen und Monaten?
Conchita: Im besten Fall wahnsinnig viele Pressetermine, weil das bedeutet, dass man Interesse an ihr hat. Es erwartet sie eine wahnsinnig spannende Zeit, viel Stress - aber auch sehr, sehr viel Spaß. Und wenn sie es klug macht, wird das eine Erfahrung für den Rest ihres Lebens.
Was heißt "wenn sie es klug macht"?
Conchita: Man darf sich nicht in diesen Strudel ziehen lassen. Es ist sehr einfach, sich in dem Druck, den man sich selbst aufbaut, zu verlieren: Wie schneide ich ab? Wie ist der Song? Wie ist mein Styling? Man darf nicht vergessen, es auch zu genießen.
Was müssen denn deine Nachfolger mitbringen?
Conchita: Die Liebe zu dem, was sie machen. Sie müssen dieses berühmte Gesamtpaket mitbringen. Die Menschen müssen sich ein Stück weit verlieben - und das kann nur dann gelingen, wenn man zu 100 Prozent so ist, wie man ist. Ein Publikum kann man nicht belügen.
Ein kleiner Vorausblick: Wie wirst du selbst die ESC-Zeit in Wien verbringen?
Conchita: Für mich sind das mehrere Wochen, weil ich natürlich Proben, Proben, Proben habe. Ich moderiere den Green Room und ich mache die Eröffnung. Ich freue mich schon über die Maßen, weil es ein bisschen wie Klassenfahrt ist: Es sind alle aus dem Team vom letzten Jahr dabei - nur sind wir dieses Mal alle entspannter. Nichtsdestotrotz bin ich nervös - Moderation ist nicht mein Metier, ich werde mich auf jeden Fall gut vorbereiten. Ich freue mich aber sehr darauf, weil ich weiß, wie man sich im Green Room fühlt. Ich versuche die Kandidaten dann in diesen kleinen Momenten daran zu erinnern, warum sie da sind - und dass sie es bitte, bitte genießen sollen.
Mit "Ich, Conchita" hast du gerade eine Biografie rausgebracht. Was ist das Persönlichste, das wir darin von dir erfahren?
Conchita: Ich habe für mich einen großen Schritt gemacht, indem ich Kinderfotos von mir veröffentlicht habe. Das ist aber auch alles, was es von Tom zu sehen gibt. Zu lesen gibt es da natürlich mehr, weil meine Kindheit ein wichtiger Teil meines Lebens ist - und ein wichtiger Teil, um zu verstehen, warum ich das mache, was ich mache.
Im Buch gibt es viele Bilder und viele kleine Geschichten und Anekdoten von dir. Welche ist deine Lieblingsgeschichte?
Conchita: Eine ganz süße Stelle ist die Tatsache, dass Karl Lagerfeld, Vivien Westwood und meine Großmutter etwas gemeinsam haben: Sie riechen alle ein bisschen nach Menthol. Und weil ich meine Großmutter so abgöttisch liebe, habe ich auch diese beiden Menschen sofort in mein Herz geschlossen.
Dein Fazit des vergangenen Jahres: Du bist als Conchita angetreten, um für mehr Toleranz zu kämpfen. Hat sich in deinem Heimatland was getan?
Conchita: Wenn man es wirklich auf mich reduzieren möchte, hat sich definitiv was verändert. Ich habe ganz viele Nachrichten von Menschen bekommen, die ihre Meinung geändert haben, oder - was ich immer noch ganz skurril finde - durch mich inspiriert wurden, ihr Leben ein Stück weit zu ändern. Aber ich bin auch nicht naiv: Diese gespielte Akzeptanz ist mittlerweile wohl nicht mehr vorhanden. Ich sehe es so, dass man immer und immer wieder daran arbeiten muss, respektvoll miteinander umzugehen.