ESC 1983 - "Der technische Aufwand war unvorstellbar"
Zuletzt fand der Eurovision Song Contest 1983 in Deutschland statt - in München. Vieles hat sich seitdem geändert, vor allem im Produktionsablauf. Einiges ist aber auch gleich geblieben. Ingrid Krüger war 1983 beim Grand Prix dabei, sie hat damals als Regieassistentin gearbeitet. Eurovision.de hat sie besucht und mit ihr über ihre Erinnerungen an den ESC gesprochen.
eurovision.de: Frau Krüger, wenn Sie an den 1983er Grand Prix zurückdenken - woran denken Sie zuerst?
Ingrid Krüger: An Arbeit. Ein Riesenstück Arbeit. Der Grand Prix war eine große internationale Produktion, man kam sich vor wie bei der Olympiade, das war schon sehr international. Und dann der technische Aufwand, das war unvorstellbar. Unsere Sendezentrale bestand aus zwei Ü-Wagen, die hintereinander gekoppelt waren. Ein Wagen kam vom Bayerischen Rundfunk, einer vom WDR. In der Halle hatten wir neun Kameras. Das war damals sensationell. Verglichen mit heute ist das natürlich nichts, aber für die Zeit damals war das eine große Sache.
eurovision.de: Hatten Sie vor 1983 schon Grand-Prix-Sendungen betreut?
Krüger: Ja, ich habe seit 1979 die deutschen Vorentscheide gemacht. Beim internationalen Finale war ich bis 1983 nie dabei, aber ich habe bei Sendungen wie "Ein Lied für Jerusalem" gearbeitet. Live-Sendungen war ich gewohnt, ich habe viele Jahre als Regieassistentin bei "Einer wird gewinnen" mit Hans-Joachim Kulenkampff gearbeitet und jahrelang den "Blauen Bock" gemacht.
"Bei Siegel musste alles perfekt sein"
eurovision.de: Ralph Siegel hatte seit 1979 regelmäßig den deutschen Vorentscheid für sich entschieden und schließlich auch mit Nicole 1982 den Grand Prix gewonnen. Welche Rolle spielte er bei der Produktion in München?
Krüger: Ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern, dass er da war. Ich hatte bei den Vorentscheidungen mit ihm zu tun. Bei ihm musste immer alles perfekt sein. Ich erinnere mich, dass Siegel sich einmal furchtbar aufregte und diskutierte. Da bin ich zu ihm hin und hab gefragt: Herr Siegel, was ist denn los? Ja, sagte er, das Keyboard ist nicht da! Och Herr Siegel, hab ich gesagt, wenn bei allen so viel da wäre wie bei Ihnen. Aber das hat ihn nicht interessiert, er wollte das Keyboard an seinem Platz haben. Es gibt ja den schönen Satz von seiner Mutter, die zu Bekannten gesagt hat: Hoffentlich gewinnt er dieses Jahr den Grand Prix, ich steh' das nicht noch einmal durch. Aber er hat nie vergessen, sich zu bedanken. So hat er mir nach dem Vorentscheid 1979 einen Riesen-Blumenstrauß geschickt und sich bei mir für meine Arbeit bedankt.
eurovision.de: Umso präsenter beim ESC 1982 war Marlène Charell. Sie moderierte den Contest in drei Sprachen, außerdem hat sie beim Zwischenact getanzt. Das hat ihr ja auch viel Spott eingebracht.
Krüger: Die Zusammenarbeit mit Marlène war sehr gut, ich kannte sie schon seit Jahren. Aber ich weiß bis heute nicht, ob das gut war, dass sie im Showact getanzt hat. Das war etwas zu viel. Sie hat sich auch schwergetan mit der Aussprache der Künstler. Sie hatte nicht das richtige Gefühl für die Namen.
eurovision.de: Wie war denn die Zusammenarbeit mit den Delegationen und Künstlern?
Krüger: Da gab es schon einige Probleme. Es gab zum Beispiel einen Vorfall mit dem jugoslawischen Kandidaten, Daniel war das. Es lief die Generalprobe, er fängt an seinen Song "Dzuli" zu singen - und kein Mensch hört ihn. Der Kollege vom Ton hatte das falsche Mikrofon aufgedreht, nach zehn Sekunden war die Panne aber behoben. Aber da war was los! Es hieß sofort: Sabotage, alle sind gegen Jugoslawien. Dann hat der Regisseur gesagt, dass der Verantwortliche zu Daniel geht und sich entschuldigt. Der Kollege hat mir so leidgetan, da bin ich mitgegangen, weil die mich ja auch kannten. Die haben rumgeschrien - ein vernünftiges Wort konnte man mit ihm nicht reden.
"Mit Corinne Hermès hat niemand gerechnet"
eurovision.de: Hatte man denn Daniel auch Siegchancen eingeräumt?
Krüger: Ja, bei den Proben hatte sich herauskristallisiert, dass sein Beitrag gut ankam. Aber dann gewann Corinne Hermès mit "Si la vie est cadeau". Diesen Titel hatte niemand auf der Rechnung. Der war so nichtssagend und ist dann ja auch genauso schnell wieder verschwunden, wie er aufgetaucht ist.
eurovision.de: Wie ist der deutsche Titel angekommen? Während des Votings gab es ja die Chance, dass Deutschland erneut gewinnt.
Krüger: Wir hatten unsere Monitore in der Halle auf der Seite und ich saß neben dem Unterhaltungschef des Bayerischen Rundfunks, Herrn Doktor Christof Schmid. Nun lag der deutsche Titel "Rücksicht" von Hoffmann & Hoffmann nach vier oder fünf Votes vorn. Dr. Schmid sagte immer nur: "Frau Krüger, das darf nicht passieren, so viel Geld haben wir kein zweites Mal. Das darf nicht passieren!" Es ist dann ja auch anders gekommen, am Ende landeten sie auf dem fünften Platz.
eurovision.de: Und wie ist Ihr Bezug heute zum ESC? Schauen Sie sich den Wettbewerb noch an?
Krüger: Privat verfolge ich den Grand Prix jedes Jahr, ich sehe mir den ESC gerne im Fernsehen an. Es hat mich überrascht, dass Lena gewonnen hat. Weil ich das Gefühl hatte, dass der Ostblock sich die Punkte zuschiebt und Westeuropäer kommen nie mehr dahin. Ich bin allerdings auch der Meinung, dass es ein Fehler ist, dass sie noch mal antritt. Sie sollte ihren Erfolg genießen!
Vielen Dank für das Gespräch!