2002: Eurovision Song Contest in Tallinn
Der 47. Eurovision Song Contest feierte Premiere in einem Land aus dem Baltikum, und im estnischen Tallinn dachten sich die Organisatoren zum ersten Mal auch ein flottes Motto aus: Unter dem Slogan "Fairytale of Music" sollte die dreistündige Show für einen märchenhaften Abend sorgen. Wieder gab es Favoriten (diesmal Schweden, Deutschland und das Gastgeberland), doch auch in diesem Jahr sorgte eine Überraschungssiegerin für europaweite Begeisterung: Die 20-jährige Marie N aus dem Nachbarstaat Lettland war mit ihrer entspannten, glatt produzierten Latino-Popnummer "I Wanna" und einer mitreißenden Tango-Tanzshow der Star des Abends. Damit gewann wie bereits im Vorjahr eine Vertreterin des Baltikums, die niemand auf dem Zettel hatte.
Kurios dabei: Lettland war ursprünglich gar nicht im Wettbewerb vorgesehen, wurde aber nachnominiert, weil Portugal die Teilnahme kurzfristig absagte. Mit einem knappem Vorsprung von nur zwölf Punkten setzte sich Marie N gegenüber Maltas Sängerin Ira Losco und ihren Song "7th Wonder" durch.
Tanzende Transvestiten im Stewardessen-Look
Erwähnenswert auch der Beitrag aus Slowenien: Nachdem die Gruppe Sestre ("Samo Ljubezen"), drei Transvestiten mit einer speziell ausgearbeiteten Stewardessen-Choreographie, den nationalen Vorentscheid gewonnen hatte, wurde im ganzen Land, selbst im Parlament, diskutiert, ob eine solche Gruppe als Repräsentant des Landes geeignet sei. Letztendlich landete Slowenien auf einem 13. Platz.
Der deutsche Beitrag sollte dagegen eine herbe Niederlage einstecken: Corinna May hatte im Vorentscheid noch Pop-Größen wie Joy Fleming, Weather Girls und die Kelly Family hinter sich gelassen, doch in Tallinn wählten die europäischen Fernsehzuschauer ihren Song "I Can't Live Without Music" nur auf Nummer 21 - den viertletzten Platz. Es war dennoch nicht das schlechteste Resultat aller Zeiten. Bei allen Contests bis 2002 landete Deutschland insgesamt vier Mal an letzter Stelle.
Debakel für Corinna May
Für Corinna Mays Songwriter Ralph Siegel war es dennoch der Tiefpunkt seiner bis dato 20-jährigen Eurovision-Karriere. Und das ausgerechnet am 20. Jahrestag von Nicoles "Ein bisschen Frieden", das er auch geschrieben hatte. Ursprünglich wollte er sich nach dem Finale in Tallinn aus dem ESC-Business zurückziehen. Der Entschluss war anscheinend nicht in Stein gemeißelt: Bereits im darauffolgenden Jahr sollte sein Schützling Lou ("Let's Get Happy") den deutschen Vorentscheid gewinnen und das Ticket zum Eurovision Song Contest in Riga lösen
Doch trotz des mageren Abschneidens von Corinna May war Tallinn 2002 fest in weiblicher Hand: Die ersten fünf Plätze belegten allesamt junge Frauen (wie überhaupt der Grand Prix Frauensache ist: Bis 2002 gewannen 29 Mal Solosängerinnen, nur sieben Mal einzelne Herren). Die Einspielfilme zeichneten zudem ein charmantes Bild des Gastgebers - politisch bemerkenswert, dass es ausgerechnet im Kurzfilm vor Russlands Beitrag um einen kleinen Fisch ging, der in die Freiheit entlassen wird. Mehr als 100 Millionen Menschen in 32 europäischen Ländern sahen zu.