Türkei offiziell nicht beim ESC 2016 dabei
Es ist ein Trauerspiel: Die Türkei, besser ihr Sender TRT, wird sich nicht am 61. Eurovision Song Contest im kommenden Jahr in Stockholm beteiligen. Wie die EBU uns offiziell mitteilte, haben alle Bemühungen der vergangenen Monate nichts genützt. Frank-Dieter Freiling, Chairman der Reference Group des ESC, sagte eurovision.de, dass das zumindest für den nächstjährigen ESC endgültig sei. Grund: TRT habe sich nie gemeldet, weder offiziell die erste Anmeldefrist im September erfüllt, noch sich in diesen Tagen gemeldet.
Liebe nicht erwidert
Der Zusammenhang ist offenkundig: TRT hat sich, unter dem Einfluss der islamischen-konservativen Regierungspartei AKP, in den vergangenen Jahren zu einem Propagandasender der pro-islamischen Mehrheit im Lande entwickelt. Zuletzt nahm die Türkei 2012 in Baku am ESC teil, Sänger Can Bonomo belegte gar einen sehr achtbaren siebten Platz mit "Love Me Back". Aber TRT stört seither die liberale Ausrichtung des ESC. Konkret: 2014 kamen die hässlichsten Kommentare neben Stimmen aus Russland vor allem aus der Türkei. Conchitas Sieg fand in der offiziellen Türkei der Regierungspartei AKP, und damit auch bei TRT, keine Sympathien, im Gegenteil.
Am 1. November nun wurde die AKP bei den Parlamentswahlen in der Türkei mit einer absoluten Mehrheit durch die Wähler und Wählerinnen bestätigt - liberale und eher europäische Kräfte wie die Sozialdemokraten und die kurdisch-linke Partei sind zurückgedrängt worden. Die Türkei, so Präsident Erdogan, wolle sich überlegen, eine Präsidialdemokratie zu werden. Man darf anfügen: wie das System in Russland unter Präsident Wladimir Putin.
ESC - ein Opfer der Politik
Mit dem liberalen, rechtsstaatlichen Europa, zu dem die European Broadcasting Union zwar nicht zwingend-offizell, aber historisch gesehen zählt, will die Türkei unter der erdrückenden Dominanz islamischer Kräfte nichts zu tun haben.
Frank-Dieter Freiling, Kopf der Reference Group, sagte eurovision.de: "Der türkische Sender TRT will offenbar nicht den liberalen europäischen Weg, der in den Eurovision Song Contest eingeschrieben ist, mitgehen. Wir bedauern das." Man sei frustriert. Nicht allein Freiling reagierte seitens der EBU enttäuscht. In der Genfer EBU-Zentrale geht man davon aus, dass die türkische Politik - und da zählt man den Sender TRT als Instrument des Machterhalts der Regierung mit - einen Weg gehen wird, der sich noch stärker als Putins Russland an gelenkter Demokratie orientiert.
In eurovisionärer Hinsicht ist die Ignoranz von TRT dem ESC gegenüber enttäuschend: Seit Mitte der 70er-Jahre ist die Türkei bei diesem Contest dabei - in den Jahren vor dem freiwilligen Verzicht überaus erfolgreich. 2003 wurde "Everyway That I Can" von Sertab Erener mit dem ersten Platz in Riga gekrönt. Das war ein verdienter Triumph, weil kaum ein anderer ESC-Sieg europäischer war. Erener, die bekennende Europäerin, hatte ja eine ironisch angehauchte Oriental-Performance hingelegt. Ihre Tänzerinnen allerdings hatte sie in einer Wiener Dance School rekrutiert. Sie sagte damals zu mir: "Türkische Kultur ist in Europa am besten aufgehoben. In Europa kommt sie zum Klingen im Konzert mit anderen."
Worte, die TRT offenbar nichts mehr wert sind. Wie schade!