Anrüchiges Mazedonien
Daniel Kajmakoski ist der gewählte ESC-Kandidat von Mazedonien. Unsere Kollegen vom Prinzblog haben nun die in der Tat seltsame Geschichte ausgegraben, derzufolge durch gezinkte Prepaidkarten das Televoting verfälscht worden sein soll. Sogar die mazedonische Polizei hat sich in die Ermittlungen eingeschaltet. Das ist die beste Nachricht aus dem nördlichen Nachbarland Griechenlands seit Langem!
Tatsächlich hat der Mann, der - wenn auch vorläufig - noch als Person ausgelobt ist, die im Mai die Farben des exjugoslawischen Landes vertreten wird, die Publikumsabstimmung mit großem Vorsprung gewonnen. Die eigentlich favorisierte Tamara Todevska landete bei den Telefonanrufen und SMS-Votings lediglich auf dem dritten Platz. Da Kajmakoski bei den Juroren auf den zweiten Platz gelangte - Todevska lag bei ihnen auf dem ersten Platz - gewann eben dieser die Fahrkarte nach Wien. Falls die offiziellen - also nicht nur die televisionären - Recherchen ergeben, dass der Skopje-Fest-Sieger nur durch Televotingschummel zur Qualifikation für Wien kam, muss er wohl disqualifiziert werden. Wer dann aber statt seiner führe, steht längst nicht fest. Im Grunde steht nichts fest, denn die Polizei hat bislang nichts verlauten lassen. Erfahrungsgemäß dauern polizeiliche Erkundigungen im Feld der Telekommunikation und des Internets länger als andere. Offen ist etwa, inwieweit die mazedonischen Behörden die Mittel haben, auch international zu ermitteln: Womöglich sind Televotingstimmen über ausländische Server eingesammelt worden. Aber, wie gesagt: Nichts steht fest.
Ist "Herbstlaub" der passende Titel für den Frühling?
Klar sind für mich allerdings zwei Dinge: Das Lied von Kajmakoski mit dem Titel "Lisja esenski“ ist von ergreifender Einfalt. "Herbstlaub“ lautet es auf Deutsch und hat damit die falsche Jahreszeit in der Überschriftenzeile, denn sie wird irgendwie so gar nichts mit dem Mai von Wien zu tun haben können. Aber das ist nicht das, was mich verstört. Vielmehr die Komposition selbst, die nach typischstem Balkan-Pop klingt. Keine Ruhe findet sich im Lied, und selbst das, was rhythmisch ins Ohr wummert, was also als tanzbar durchginge, hört sich eher blechern und hohl an. Wie muss man sich bloß die Personen vorstellen, die ausgerechnet dieses Lied zu ihrem Favoriten erklärten? Zeit genug wäre ja noch, eine - dann polizeilich vorab geprüfte - Neuauflage des ESC-Vorentscheids auszurichten. Bis Mitte März müssen alle Länder ihre Lieder der Reference Group des ESC gemeldet haben. Ist also noch lange Zeit, sowohl um neue Lieder zu bitten als auch ein neues Festival zu planen.
Demokratie muss transparent sein
Was mir aber an dem ganzen Vorfall gefällt, ist, dass er erstens bekannt wurde und zweitens überhaupt Gegenstand von Ermittlungen wird, die auch die Polizei beschäftigen, und bis in höchste Regierungskreise Unruhe ausgelöst haben. Vorgänge, die demokratisch tun, müssen transparent sein. Sonst wird man von der Europäischen Union nicht mehr lieb gehabt. Und ein Televoting ist eine Prozedur, die durchsichtig, unkorrupt und unbestechlich sein muss, um als demokratisch durchgehen zu können. Irgendwelche Mauscheleien kann sich ein Land wie Mazedonien nicht erlauben, dafür ist man allzu sehr vom guten Willen der EU abhängig. Man hat schließlich den Ruf zu verlieren, die Modernisierung des eigenes Staates und seiner Institutionen (und dazu gehört auch der TV-Sender) zu befördern. Der Skandal von Skopje ist insofern ein Segen. Dort wird offenbar nicht mehr alles unter die Teppiche gekehrt. Das ist ein Fortschritt. Bei anderen ESC-Sendern ging es nicht so transparent zu. Auch Deutschland hat seine Zuschauerpost, wenn das Publikum bei Vorentscheiden abstimmen durfte, nicht in jeder Hinsicht prüfen lassen - das erinnere ich aus den 70er-Jahren noch verlässlich. In Osteuropa hingegen war es in den vergangenen Jahren beinahe üblich, Vorentscheidungssieger wieder zurückzuziehen - weil sie, wie in Weißrussland, dem Regime nicht passten. Um nur ein einziges Beispiel zu nennen.
Bestätigt sich der Verdacht, droht Zwangspause
Aserbaidschan jedoch konnte direkt kein Betrug nachgewiesen werden, aber das Land gilt immer noch als verwarnt von der EBU, weil für Aserbaidschan vor Jahren Emissäre europäisch unterwegs waren, um Möglichkeiten auszuloten, das Televotingsystem zu manipulieren, auf dass Stimmen für Aserbaidschan zugute kommen. Der Sender Ictimai TV bekam keine rote Karte, aber seitens der EBU in Genf gilt immer: Das Land darf nicht wieder auffällig werden, auch nicht durch vorgeschaltete Botschafter. Sonst muss es fünf Jahre zwangspausieren. Mazedonien hat schnell begriffen, dass selbst landesinterne Ungereimtheiten besser gleich von der Polizei untersucht werden. Das ist europäischer Standard.
Wie gesagt: Vielleicht hat irgendein Gott ja diese Unwucht im Verfahren heimlich inszeniert, damit das Skopje-Festival nochmals stattfindet. Diese Lieder, die dort um ein Ticket nach Wien buhlten, die taugten einfach nicht, um beim Jüngsten Gericht bella figura zu machen.