Sandra Kim feiert 45. Geburtstag
Wer hätte daran zweifeln sollen? In ihrem Lied behauptete sie ja selbst, 15 Jahre alt zu sein. Das erregte keinen Argwohn, niemand kam auf die Idee, es bei diesem Grand Prix Eurovision de la Chanson am 3. Mai 1986 in Bergen an der norwegischen Westküste mit einem Kinder-Gesangswettbewerb zu tun zu haben. Sandra Kim war einfach eine sehr zierliche Jugendliche, die mit einem enervierend schlichten und durchschlagenden Lied die Interessen ihres Heimatlandes Belgien zu vertreten hatte. "J'aime la vie", so hieß ihr Chanson - und man beleidigt auch in historischer Hinsicht gewiss niemanden, wenn man feststellt, dass dieses Lied nicht zu den beliebtesten ESC-Siegesliedern aller Zeiten bei Fans gewählt würde. Es war ein Pop-Stück, wie es damals gern von Kindern und Heranwachsenden gehört wurde.
Sandra Kim ließ alle anderen an diesem Abend - unter Leitung der späteren norwegischen Kulturministerin Åse Kleveland als Moderatorin - weit hinter sich. Chancenlos blieben die Schweizerin Daniela Simmons wie auch die für Luxemburg startende Sherisse Laurence oder die Deutsche Ingrid Peters mit ihrem "Über die Brücke geh'n", das auf dem achten Platz endete.
Keine Altersregel damals
Die Belgierin hingegen entzündete gegen die eigene Absicht eine Diskussion, die letztlich zur Gründung des Junior Eurovision Song Contest viele Jahre später führte: Sie war noch gar nicht 15 Jahre alt, sondern erst 13. Aber altersbegrenzende Regeln gab es noch nicht, sie wurden erst 1990 eingeführt. Kinder - und das sind alle Menschen, die das 14. Lebensjahr nicht vollendet haben - waren beim ESC öfter im Einsatz: 1969 Jean-Jacques für Monaco ("Maman, maman", 6. Platz), die Spanierin Betty Missiego ließ 1979 zu ihrem "Su canción" den Kinderchor "Caramelos" als Begleitchor auftreten und wurde Zweite. 1985traten Kirsten Siggaard und Søren Bundgaard mit einem achtjährigen Kind namens Lea auf, ihre Performance endete auf dem 11. Rang. 1988 traten für Deutschland die Ralph-Siegel-Schützlinge Maxi & Chris Garden auf, Maxi heißt in Wirklichkeit Meike und war erst 13 - und sie landeten auf Platz 14. 1989 in Lausanne waren es gleich zwei Kinder, die auf der ESC-Bühne standen: die Französin Natalie Pâque als Zwölfjährige (8. Rang) sowie der gleichaltrige Israeli Gili Natanel, dieser im Duett mit der wesentlich älteren Galit Burg (12. Platz).
Später in Rom galt eine neue Bestimmung, ein Kinderauftrittsverbot. 16 Jahre musste und muss ein ESC-Teilnehmer sein, Stichtag nach den aktuellen Regeln ist der Tag des ersten Semifinals.
Tatsächlich hat Sandra Kim, so darf man mit einem Blick zurück spekulieren, zu Recht gewonnen: Sie hätte auch schon das 20. Lebensjahr vollendet haben können und wäre auch dann noch die erste belgische Siegerin gewesen. Das Lied mag zwar erschütternd schlicht gewesen sein, aber das war beim ESC noch nie strafbar. Sandra Kim und ihr Team hatten das Rezept, wie von allen Jurys Punkte zu holen sind, perfekt drauf. Die Schweizer Delegation hoffte, dass die EBU die Siegerin disqualifiziert - aus Altersgründen. Der Protest wude nicht erhört.
Immer noch auf der Bühne
Am 15. Oktober wurde Sandra Kim 45 Jahre alt, erstaunlich jung für eine, deren Karrierehöhepunkt ja schon 31 Jahre zurückliegt. Sandra Kim, die eigentlich Sandra Caldarone heißt, hat weiterhin viel im Musik- und Unterhaltungsgeschäft ihres Heimatlandes gearbeitet: als TV-Moderatorin sowie als Musikerin, die einige Alben veröffentlichen konnte. Auf einer eigenen Website kündet sie davon, dass sie immer noch auftritt und rege Anteil nimmt am Glamourgeschehen, im flämischen wie wallonischen Teil Belgiens.
Sandra Kim hat sozusagen das Beste aus ihrem ESC-Sieg gemacht: eine seither nicht geradlinig steil nach oben führende, aber doch stete Karriere im Unterhaltungsgeschäft. Herzlichen Glückwunsch einer Frühvollendeten!