Feddersens Kommentar: Die über sich hinauswuchs
Mein persönlicher Tipp für den deutschen Vorentscheid war gut überlegt: Ich fand Axel Feige aus Hamburg, Lehrer und Straßenmusiker, vor dem Finaltag in Köln am besten. Dass Levina nun gewonnen hat, freut mich allerdings sehr. Ihre Performances im Finale trösteten mich über viele verlorene Wett-Euros hinweg: Die Unterschiede zwischen den beiden letzten Interpreten waren doch nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Levina, die noch in der Generalprobe eher verhalten wirkte, drehte vom ersten Moment von "Unser Song 2017" auf.
Levina schienen Flügel zu wachsen
Alle drei Performances von ihr hinterließen den Eindruck, sie genieße den Stoff, den sie zu bieten hat. Als ob sie in der Show erst ihre große Chance erkennt - und sich davon nicht einschüchtern lässt, im Gegenteil. In jedem Moment - allem Lampenfieber zum Trotz - wurde sie stärker, stimmlich und körperlich. Sie liebte das Mikrofon und die Kameras liebten sie. Levina, die in London Musikmanagement studiert und über eine vorzügliche und zugleich sehr frische Stimme verfügt, wuchs sozusagen im Laufe des Abends über sich hinaus. Sie wird stimuliert worden sein durch das Saalpublikum, das sie mit dem ersten Ton zu mögen begann - und am Ende, etwa beim Finale der zwei Lieder "Perfect Life" und "Wildfire", frenetisch feierte.
Axel wurde immer ängstlicher
Axel hingegen war vor "Unser Song 2017" leicht favorisiert - gerade auch vom europäischen Ausland. Ihm traute man zu, es in die Endrunde zu schaffen. Er würde als Sieger mit der Lizenz, nach Kiew fahren zu dürfen, in die Fußstapfen von Max Mutzke und Roman Lob (und in gewisser Weise auch von Andreas Kümmert) treten.
Doch bei ihm wurde sichtbar, was mit Künstlern passiert, die ob der Chance, wenigstens einige Monate berühmt zu werden, unsicherer werden als sie ohnehin schon vor der ersten Probe waren. Der Hamburger, erfahrener Straßenmusiker und Förderlehrer mit größten musikalischen Fähigkeiten, wirkte in keinem Moment der Show cool - er wurde nicht größer mit den Minuten der Konkurrenz. Sondern steifer. Irgendwie ängstlicher. The fear of winning - das will das Publikum offenbar nicht als Sieger sehen. Immerhin schaffte er es in die Runde der zwei letzten Interpreten - dort aber überflügelte ihn eben Levina mit beiden zur Wahl gestellten Liedern.
Jury ließ zu früh Sympathien durchblicken
Florian Silbereisen, einer der Experten im Jurysessel, sagte freundlich hinterher zu ihm, er sei vielleicht nicht der Geeignete für einen solchen Wettbewerb. Ich würde sagen: für keinen Wettbewerb scheint er der Richtige. Konkurrenz ist irgendwie wohl nicht so sein Ding. Die Show war lang, schön lang und ausführlich. Sogar am Ende mit fast 20 Minuten Überlänge. Lena Meyer-Landrut war fein als Jurorin, Tim Bendzko manchmal etwas zu krass negativ - und Florian Silbereisen freundlich und zugewandt, ohne undifferenziert zu werden. Alle drei haben, für meinen Geschmack, allerdings zu früh durchblicken lassen, dass sie Levina als Siegerin des Abends sehen wollen.
Wenn das Publikum also mit der strahlend-glücklichen Künstlerin Levina einverstanden ist, kann in Kiew kaum noch etwas schiefgehen. Dass es sich mit 69 Prozent für "Perfect Life" entschied, war klug: Es gibt ja schon so viele Balladen beim Kiewer ESC, da hätte sich "Wildfire" nur eingereiht.