Die Königin von Kopenhagen
Skeptisch war ich ihr gegenüber - oder besser ihm gegenüber. Ich traute dem Konzept von Tom Neuwirth nicht so recht über den Weg. Drag-Konzepte beim ESC hat es so manche gegeben - sie waren bis auf Verka Serduchka im Jahre 2007 in Helsinki nicht erfolgreich. Neuwirth, der junge Mann aus der österreichischen Provinz, hatte sich freilich früh im Leben vorgenommen, seine Art des Lebens nicht anfechten zu lassen. Seine Eltern liebten ihn, wie Eltern nur einen Sohn lieben können, wie er in seiner Biografie schreibt, die demnächst erscheint.
Und so sahen wir es auch in verschiedenen TV-Dokumentationen, die nach Kopenhagen ausgestrahlt wurden: Conchita Wurst ist ein geliebtes Wesen, angefangen mit Eltern und Nachbarn - und ESC-Fans, die immer an ihn glaubten. Neuwirth ging ein hohes Risiko ein, als er vor einigen Jahren beschloss, nicht mehr als Mann im Pop Karriere machen zu wollen, sondern als Dragqueen namens Conchita Wurst.
Die Kraft der Durchsetzungsfähigkeit
Vor zwei Jahren belegte Conchita Wurst beim österreichischen Vorentscheid den zweiten Platz. Heute könnte man sagen: Es war Glück, mit "That's What I Am" hinter den Jungs von Trackshittaz zu landen. Nur aus einem Gefühl heraus würde ich meinen: Die Performance vor zwei Jahren war nicht so stark wie die aus diesem Jahr.
Was für ein Glück, dass der ORF keine Vorentscheidung bezahlen wollte und deshalb einfach das Team Conchita Wurst als ESC-Act für Kopenhagen ausrief. Glück auch, dass Neuwirth und seine Leute das Lied "Rise Like A Phoenix" in, so sagen sie, allerletzter Minute angeboten bekamen und sich dafür als österreichischen Beitrag entschieden.
Allem guten Material zum Trotz muss man ein Lied stehen können. Was ich damit meine? Ein Song wie "Waterloo" konnte nur von Abba so abgeliefert werden, dass man sich niemand anderen als Sieger von Brighton vorstellen konnte. Oder ein Johnny Logan: Ohne ihn wären "What's Another Year" und "Hold Me Now" immer noch taugliche Schnulzen - aber ohne den Iren hätte es nicht zum Sieg gereicht, schätze ich.
Eine perfekte Show
"Rise Like A Phoenix" war als Lied für die Kunstfigur Conchita Wurst so geeignet, wie es besser nicht hätte sein können: James-Bond-artiger Sound und eine perfekte Lichtshow während der drei Minuten Auftritt. Eine schmeichelnde Orgie wie aus roten Rosen gebunden, ein langes Kleid, das sich an den schmalen Körper schmiegte und eine Stimmkraft, die es beim ESC eher selten gibt. Neuwirth hatte alles auf eine Karte gesetzt - und alles gewonnen. Wenn nur einer dieser Punkte misslungen wäre - Textiles, Lichttechnisches, eine erkältete Stimme - hätte es keine Punkte gehagelt.
Die These jedoch, dass sie (oder er) wegen des Dragqueen-Outfits gesiegt habe, halte ich für falsch. Für mich war die Performance der ultimative Beweis, dass Behauptungen, der ESC sei ein Komponisten- und Texterwettbewerb, in die Irre führen. Der ESC wird ja seit 1956 im Fernsehen und nicht im Radio übertragen: Das heißt, es zählten schon immer visuelle Eindrücke - und die überwiegen beim Fernsehen immer, weit vor inhaltlichen oder kompositorischen Dingen. Das Siegeslied von Kopenhagen wäre durch 99 Prozent aller ESC-Performer schwer misshandelt worden, stimmlich vor allem.
Toleranz und Respekt
Das Jahr der Conchita Wurst war eines, weil sie (oder er) "Rise Like A Phoenix" nicht als halb lustige, halb ironische, halb augenzwinkernde Drag-Show zelebriert hat. Sie meinte alles ernst. Auch ihre Botschaft von Toleranz und Respekt für alle Minderheiten - besonders aber die sexuellen. Neuwirth als schwuler Mann wusste mitzureißen - und das Publikum in Europa folgte ihm und wollte einer sehr schönen Illusion aufsitzen. Der, dass ein Mann eine Frau sein kann.
Musikalisch hat Conchita Wurst nicht mehr besonders viel zu bieten gehabt. Aber das kann ja noch kommen. Mehr kam es darauf an, alle Termine wahrzunehmen, die anlagen. Ein Rendezvous mit Jean Paul Gaultier, mit Karl Lagerfeld, mit dem österreichischen Politregierungspersonal, mit Menschen auf CSDs, in Berlin beim Ehrenpreis für Zivilcourage.
Conchita Wurst wird in Wien die Moderatorin aus dem Green Room sein - das wird eine schöne Abrundung ihres ESC-Erfolges sein. Das Leben geht danach weiter, ihre Botschaft lebt. Wie sagte sie am Ende des Grand Finals von Kopenhagen? "We Are Unstoppable."