Lordi: "Ich werde Lordi sein bis ins Grab"
Für Finnland gingen die Monsterrocker 2006 an den Start - und siegten überraschend in Athen. Mit ihrem Grusel-Image machten die Musiker beim Eurovision Song Contest damals Furore. Im Interview vom 20. September 2010 spricht Mr. Lordi über seine Idole, seine Sorgen und über die "abgefahrene" Lena.
eurovision.de: Mr. Lordi, Mitte September ist Ihr neues Album "Babez For Breakfast" erschienen. Warum widmen Sie den ersten Song ihrem Idol Gene Simmons, dem Leadsänger von "Kiss"?
Mr. Lordi: Der Song handelt von diesen ganzen Rockstars mit großem Ego und Mega-Seximage und von ihrer Maskerade. Es ist ein Kommentar über meine Idole wie Kiss, die alle ein Doppelleben führen: Alles dreht sich ums Image, aber die Realität ist meist so, dass diese Leute, die auf der Bühne über Sex singen, nach dem Konzert nach Hause zu ihren Ehefrauen gehen.
eurovision.de: Ist jemand wie Ozzy Osborne oder Gene Simmons - beide vereinen ein Leben als Rockstar und Familienvater - ein Vorbild für Sie?
Mr. Lordi: (lacht heftig) Nein, nein! Auf gar keinen Fall (lacht), ich werde nie Vater werden. Ich sage immer, Kinder sollten keine Kinder machen und ich bin immer noch ein Kind (lacht). Ich bin wirklich zu kindisch, um je Vater zu werden. Ich betrachte mich immer noch als einen 16-Jährigen, was wäre ich denn für ein Vorbild (kichert). Aber obwohl jemand wie Gene Simmons mein Vorbild ist, heißt das nicht, dass ich ein Leben führe, wie er es in seinen Songs predigt.
eurovision.de: Stimmt es, dass Sie in Finnland der Vorsitzende des Kiss-Fanclubs sind?
Mr. Lordi: Also, ich war es. Obwohl technisch gesehen müsste ich es noch sein. Das ganze Fanwesen hat sich ja sehr verändert, seit dem es das Internet gibt und die Fanclubs online funktionieren. Der traditionelle Weg, Briefe zu versenden und so etwas, existiert nicht mehr. Das war der Moment, wo ich ausgestiegen bin.
eurovision.de: Und dann haben Sie mit Ihrer Hard-Rock-Band Lordi in einer ganz anderen Umgebung, nämlich beim ESC teilgenommen und ihn gewonnen! Haben Sie noch einen Bezug zum Contest?
Mr. Lordi: Klar, ich habe ihn schon vor unserer Teilnahme gesehen und nach unserem Sieg keine einzige Übertragung verpasst. Seitdem gebe ich jeden Frühling, wenn der ESC bevorsteht, viele Interviews. Ich versuche immer, den Ball flach zu halten, weil ich, wie ich schon damals sagte, kein ESC-Experte bin. Wir waren 2006 die falsche Band, am richtigen Ort, zum richtigen Zeitpunkt (lacht erfreut). Wissen Sie, es ist so lustig, wenn mich die Leute fragen, wie ich diesen oder jenen Künstler einschätze, wie sind seine Gewinnerchancen. Dann sage ich immer: Ich weiß es nicht! Ich dachte über uns, wir würden letzte werden! Mich sollte man wirklich nicht als Experten befragen, mit meinen Tipps liege ich meistens falsch. Letztes Jahr schieden alle meine Favoriten im Halbfinale aus (kichert). Also, ich gucke mir das alles an, das internationale Finale und den finnischen Vorentscheid.
eurovision.de: Haben Sie noch Kontakt zu den Fans vom ESC?
Mr. Lordi: Absolut. Wir haben zu vielen Fans vom ESC Kontakt, es ist so cool! Es gibt echt nicht so viele Monster-Bands, also, eine Heavy-Rock-Band mit Hard-Rock-Fans und Eurovisionsfans. Die Eurovisionsfans kommen zu unseren Konzerten.
eurovision.de: Es scheint also Spaß gemacht zu haben, am ESC teilzunehmen und ihn zu gewinnen ...
Mr. Lordi: Ja, klar! Aber ehrlich: Wir hätten auch ohne Sieg die gleichen Reaktionen hervorgerufen, weil uns so stark von allen anderen unterschieden haben.
eurovision.de: Tragen Sie eigentlich Ihre Lordi-Maske beim Telefonieren?
Mr. Lordi: Nein (lacht herzlich), tue ich nicht! Ich sitze in Helsinki auf meinem Balkon und rauche eine Zigarette, ganz maskenlos.
eurovision.de: Was ist denn neu an den neuen Masken und Kostümen fürs neue Album?
Mr. Lordi: Alles ist neu, die Masken und die Kostüme, aber unsere Figuren sind natürlich die gleichen geblieben. Ich entwerfe für jedes Album alles neu, aber wir bleiben immer zu erkennen. Wir tragen ja zwei Jahre lang dieselben Outfits, bis wir ein neues Album haben. Stellen Sie sich das mal für sich vor: Sie tragen jeden Tag dasselbe T-Shirt zur Arbeit. Jeden Tag, zwei Jahre lang! Nach zwei Jahren wollen Sie bestimmt ein neues Shirt haben (lacht).
eurovision.de: Verzeihen Sie die Frage aber stinken die Masken mit der Zeit nicht unheimlich, und schwitzen Sie darunter nicht wie ein Ochse?
Mr. Lordi: Genau, und sie stinken wirklich fürchterlich.
eurovision.de: Was ist Ihnen so wichtig an der Musik der Achtziger? Ihr Sound orientiert sich auch auf dem neuen Album daran, warum suchen Sie keinen moderneren?
Mr. Lordi: Das ist einfach die Musik, die ich höre, die mir liegt, mit der ich aufgewachsen bin, ich liebe sie. Ich höre immer noch dieselben Alben wie vor zwanzig Jahren, das sind immer noch meine Lieblingsplatten. Außerdem verstehe ich nicht diese moderne Metal-Musik. Sie ist zu schnell, zu hart, zu brutal, sie hat keine Melodien mehr. Die Achtziger-Ära für Heavymetal ist mein Ding.
eurovision.de: Stichwort brutal: Die Lordi-Texte sind nicht gerade weichgespült, sie handeln von Tod und Gewalt.
Mr. Lordi: (kichert) Nee, soft sind die nicht ...
eurovision.de: Sie haben in einem Interview gesagt, man solle diese Songtexte nicht zu ernst nehmen, es gäbe andere Dinge im Leben, die einem viel mehr Sorgen bereiten sollten. Worüber machen Sie sich Gedanken?
Mr. Lordi: Die globale Wirtschaftslage, die globale Erwärmung, überhaupt die Umwelt, all diese Themen. Terrorismusattacken, darüber sollte man sich Sorgen machen. Was wir als Lordi machen ist so ernst wie Horrorfilme. Der reale Horror kommt von anderen Sachen als denen, womit wir unterhalten. Keiner glaubt, dass es Rockstars gibt, die Babys zum Frühstück verspeisen. Das ist ganz klar nur Unterhaltung. Die wirklichen Monster sind diejenigen, die für ihre Sache bereit sind, sich in die Luft zu sprengen, oder das, was wir Menschen dieser Welt antun. Schauen Sie, es gibt Erdbeben, wo es sonst keine gab, etwa in Neuseeland. Und diese Tsunamis, das ist alles sehr erschreckend. Ich lebe am Polarkreis: In Lappland haben wir seit Jahren keinen richtigen Winter gehabt. Früher war es bitterkalt und man sah die Nordlichter und der Schnee lag knietief. Seit fünf Jahren gibt es mit Glück Schnee bis zu den Knöcheln. Die Welt verändert sich.
eurovision.de: Warum handeln Ihre Lieder nicht davon?
Mr. Lordi: Dafür gibt es schon andere gute Beispiele, dafür gibt es U2 mit Bono und Sting (lacht)! Die sollen das machen. Eine Rockband und besonders eine Rockband mit Masken sollte sich auf den unterhaltenden Aspekt konzentrieren. Und nicht predigen, nicht über Politik oder Religion oder so etwas singen. Wir wollen die Leute unterhalten und ihre Gedanken von schwerwiegenden Dingen ablenken. Dafür ist Rock da, zum Genießen. Wann auch immer man Rock oder Pop mit Politik mischt, ist irgendetwas damit nicht richtig, das ist billig. Wenn ich Musik höre, möchte ich nicht das Gefühl haben, dass man mir doziert. Ich will nicht hören, wie die Welt zerstört wird, das weiß ich eh schon, ich will abgelenkt werden. Ab und zu muss man sein Gehirn auf Neustart bringen.
eurovision.de: Nur haben Sie für Ihr neues Album mit dem Produzenten von Metallica zusammengearbeitet. Die Band vereint durchaus unterhaltsam ernste Texte mit Hardrock ...
Mr. Lordi: Schon klar, dazu muss ich sagen, dass es in unseren Texten immer eine zweite Bedeutung gibt. Da muss man zwischen den Zeilen lesen, aber das sind eher persönliche Gedanken. Manchmal webe ich heimlich eine Message ein, die man entweder bemerkt oder eben auch nicht. Aber im Allgemeinen ist das nicht unser Job.
eurovision.de: Sie arbeiten seit Jahren als Illustrator und Maskenbilder - eine Zukunft für Sie, falls Sie es einmal langweilig finden, Musik zu machen?
Mr. Lordi: (Lacht) Ich werde es nie langweilig finden, als Lordi Musik zu machen! Ich bin nicht alt, aber ich bin zu alt, um noch einen anderen Job zu machen. Ich werde Lordi sein bis ins Grab, soviel ist sicher. Warum auch nicht? Ich genieße jede verdammte Sekunde davon.
eurovision.de: Wie finden Sie unsere deutsche ESC-Gewinnerin Lena?
Mr. Lordi: Sie ist wirklich hübsch. Abgefahren, auf eine positive Art sehr lustig. Sie bringt mich zum Lächeln.
eurovision.de: … was wir mit Ihrer Maske nicht sehen können. Wann kriegen wir diese Maske samt Band zu Gesicht?
Mr. Lordi: Wir haben vor Weihnachten sieben oder acht Shows in Deutschland.
eurovision.de: Letzte Frage: Ihr Lieblingssong vom ESC?
Mr. Lordi: Oh, da gibt es ein paar. Ich könnte den leichten Weg gehen und Abba sagen, aber das lasse ich mal. Ich mochte die Isländerin Yohanna mit "Is it true", ihr Song ist mein Favorit. Der Song Contest produziert jedes Jahr Dutzende von Liedern, die danach alle leider in Vergessenheit geraten. Das ist schade.