Corinne Hermès: "Das war ein wunderbares Abenteuer"
Vier Mal hat Luxemburg die ESC-Krone ergattert, das letzte Mal 1983 auf deutschem Boden. Die damals 22-jährige Französin Corinne Hermès gewann in München mit dem Titel "Si la vie est cadeau". 25 Jahre später erscheint ein Jubiläumsalbum mit neuen Versionen des Siegertitels. Passend zum Jubiläum dient Corinne Hermès dieses Jahr als Jurypäsidentin der französischen Fachjury in Moskau, wie sie im Interview vom 8. Mai 2009 mit eurovision.de erzählt.
eurovision.de: Was sagen Sie zur französischen Kandidatin Patricia Kaas?
Hermès: Sie ist eine großartige Künstlerin und wird auf jeden Fall gut abschneiden. Vor allem, nachdem es seit einigen Jahren Repräsentanten für Frankreich gegeben hat, die ihre Sache nicht besonders gut gemacht haben. Es waren entweder keine guten Lieder oder keine guten Interpreten. Dieses Jahr hat France3 eine gute Wahl getroffen.
eurovision.de: Wie schätzen Sie die Qualität des diesjährigen Wettbewerbs ein?
Hermès: Ich habe mir gestern im Internet alle Lieder angehört. Wir haben einen starken Eurovisions-Jahrgang, es wird ein harter Wettbewerb. Es ist wichtig für den Grand Prix, dass man große Stimmen mitbringt und nicht nur eine große Show. Aber man muss auch mit der Zeit gehen. Viele Lieder dieses Jahr sind zeitlos und werden in den verschienenen Ländern gut ankommen. Frankreich kann da mithalten.
eurovision.de: Frankreich hat also Siegchancen?
Hermès: Ich sehe Patricia Kaas auf dem 1. Platz.
eurovision.de: Wer ist ihre größte Konkurrenz?
Hermès: Norwegen, Deutschland und Dänemark haben Lieder voller Power, die gut zur Tradition des Grand Prix passen.
eurovision.de: ... den sie 1983 mi "Si la vie est cadeau" für Luxemburg gewonnen haben ...
Hermès: Das war ein wunderbares Abenteuer und eine sehr befruchtende Erfahrung, die bis heute nachwirkt und schöne Erinnerungen hervorruft. Ich kann mich gut an den Tag erinnern, als mich RTL aus Luxemburg kontaktierte, um mir die Teilnahme für das Herzogtum vorzuschlagen. Alles danach war ein Ablauf von Höhepunkten: Als sich das Lied klassifizierte, das Aufnehmen im Studio mit großem Orchester, die ganze Woche mit Proben und noch mehr Proben in München, das war sehr intensiv. Und dann der Auftritt vor Millionen Fernsehzuschauern und der magische Moment des Sieges. Danach habe ich eine internationale Karriere aufgebaut, bin weltweit getourt, habe tolle Menschen getroffen und den französischen Chanson in den vielen Ländern repräsentiert. Sie können sich vorstellen, das war stark, etwas ganz Besonderes! Ein tolles Souvenir.
eurovision.de: Zum Weißwurstessen und Biertrinken sind Sie in München damals wohl nicht gekommen?
Hermès: (lacht) Nein! Zu viele Proben, zu viele Termine, es ist aber eine schöne Stadt, die ich intensiv erlebt habe.
eurovision.de: Wie ist das Standing des Grand Prix in Frankreich?
Hermès: Der Grand Prix hat in Frankreich das Image, altbacken und spießig zu sein. Es ist ambivalent: Jeder lästert über den Wettbewerb und seine Teilnehmer, aber alle gucken dann die Show!
eurovision.de: Sébastian Tellier hat 2008 in Belgrad auf Englisch gesungen.
Hermès: Das finde ich sehr schade, weil jeder in seiner eigenen Sprache singen sollte, so wie es früher üblich war. Es ist zwar in Ordnung, dass jetzt viele auf Englisch singen, damit jeder den Text verstehen kann, aber schade ist es schon. Toll, dass Frankreich dieses Jahr wieder auf Französisch vertreten wird. Letztes Jahr war der Beitrag von Sébastien Tellier ein Eklat. Er hat zwar Talent, aber sein Titel passte nicht zur Tradition der Eurovision.
eurovision.de: 2008 hat Russland mit einer bombastischen Show gewonnen, der Titel an sich war gar nicht so stark.
Hermès: Ja, der Song hat Power, er passte gut zum Wettbewerb, mit einem gut aussehenden Mann, der gut singen konnte. Dieses Jahr gibt es auch solche Lieder im Rennen. Norwegen klingt gut, Deutschland hat ein starkes Lied mit toll aussehenden Jungs, die gut singen, Albanien, Dänemark und Russland sind auch stark.
eurovision.de: Haben ruhige Auftritte wie Dänemark, Island oder Zypern also auch heute noch eine Chance?
Hermès: Es kommt für den Sieg nur auf die Intensität des Auftritts an. Es zählt nur, wie die Künstler ihr Lied vortragen.
eurovision.de: Wie werden Sie mit der französischen Jury den Abend verbringen? Mit Häppchen und Drinks, oder ganz seriös mit Stift in der Hand?
Hermès: Hoffentlich beides (lacht). Es soll ja auch ein netter Abend werden, im seriösen Rahmen der Regeln, aber wir werden wohl auch Häppchen dazu reichen. Die Jury besteht aus fünf Personen der Musikbranche: Ein Komponist, ein Songschreiber, ein Showveranstalter, ein Produzent aus der Unterhaltungssparte eines Fernsehsenders und ich als Jurypräsidentin. Es ist ja das 1. Mal seit Jahren, dass eine Jury 50 Prozent des Ergebnisses mit entscheidet, die anderen 50 Prozent kommen von den Televotern. Ich finde diese Regelung gut.
eurovision.de: Welche aktuellen Musikprojekte haben Sie?
Hermès: Wir haben vor kurzem ein Sammleralbum herausgegeben, darauf ist meinen Eurovisionstitel "Si la vie est cadeau" in mehreren Versionen, eine akustische Version, eine auf deutsch und eine auf englisch. Zudem arbeite ich an einem neuen Album mit Akustikliedern. Soeben hat mich ein türkischer Produzent zu bei einer Sondershow zum Eurovision Song Contest nach Istanbul eingeladen, aber ich komme natürlich den Pflichten als Jurypräsidentin Frankreichs nach.
eurovision.de: Wo leben Sie derzeit?
Hermès: Ich bin Französin bis in die Fingerspitzen und lebe in Paris. Meine Familie lebt im Süden Frankreichs, weil es dort sonniger ist als in der Hauptstadt.
Danke für das Gespräch.