Stand: 17.11.2008 09:00 Uhr

Anne Marie David: "Wichtig, mein Land zu repräsentieren"

von Patricia Batlle

Sie trägt den Beinamen "Kristallstimme" und gilt als eine der erfolgreichsten Sängerinnen der Eurovision. 1973 gewann Anne Marie David für Luxemburg, 1979 erzielte sie den dritten Rang für ihre Heimat Frankreich. Nach einer mehrjährigen Schaffenspause in den 90ern engagiert sie sich erneut musikalisch - auch für die Eurovision. Im Interview vom 17. November 2008 spricht Anne Marie David über ein ruiniertes gelbes Outfit, Völkerverständigung und Charles Aznavour.

eurovision.de: Was erinnern Sie am deutlichsten von ihrer ersten ESC-Teilnahme, 1973 in Luxemburg als Vertreterin des Gastgeberlandes?

Anne Marie David: Es war das erste Mal in der Geschichte, dass Israel am Wettbewerb teilgenommen hat. Daher waren wir ständig von Interpol und einer Menge Polizei umgeben. Das habe ich gemerkt, als mir ein Malheur passiert ist: Zwei Tage vor dem großen Abend kam der Kellner in mein Zimmer, um mir das Frühstück zu servieren und schüttete versehentlich Kaffee über mein gelbes Kostüm, mit dem ich immer auftrat. Das war's, ich hatte nichts mehr anzuziehen. Also musste ich ins Zentrum von Luxemburg, um ein Outfit zu suchen.

Was für eine Aufregung: Ich kam aus dem Zimmer, eskortiert von zwei bewaffneten Polizisten, denen sich im Auto vier Bodyguards anschlossen, vor uns fuhren zwei Polizistenmotorräder. Als wir beim Geschäft ankamen, mussten alle Kunden auf die Straße, damit etwaige Bomben gesucht werden konnten. Unter diesen Umständen musste ich ein neues Outfit finden. Als ich zwei Tage später nach dem Wettbewerb die Ergebnisse hörte, war ich immer noch so aufgeregt, dass ich nichts richtig verstanden habe. Mein Nachbar stupste mich an und sagte: Du hast gewonnen, geh auf die Bühne!

eurovision.de: Sechs Jahre später haben Sie Frankreich repräsentiert. War es ein großer Unterschied, das eigene Land zu vertreten?

David: Es war natürlich wichtig für mich, mein eigenes Land zu repräsentieren, ich war auch stolz darauf. Wenn du jedoch erst einmal auf der Bühne stehst und die Musik beginnt, merkst du diese Verantwortung nicht mehr. Das Einzige, was du denkst, ist: Lieber Gott, lass mich gewinnen!

eurovision.de: Kurz nach Ihrem Sieg in Luxemburg sind Sie in die Türkei gezogen, wo Sie Jahre gelebt und höchste musikalische Ehrungen erhalten haben. Wie kam es dazu?

David: In meinem Leben hat alles über Begegnungen geklappt. Ich durfte beim Grand Prix für Luxemburg antreten, weil 1972 RTL-Redakteure bei der Premiere des Musicals "Jesus Christ Superstar" in Paris saßen, wo ich die Rolle der Maria Magdalena gesungen habe. Sie fanden meinen Auftritt so toll, dass Sie mich gebeten haben, im darauf folgenden Jahr für Luxemburg zu singen. Nach jenem Sieg hatte ich einen großen Auftritt in Japan. Dort traf ich ein junges türkisches Paar, das mir sagte, ich sei ein großer Star in der Türkei - wovon ich nichts wusste.

Dieses Paar sagte mir, sie würden einen Kontakt für mich herstellen, wenn ich in der Türkei auftreten wollte. Als ich aus Japan zurückkehrte, rief mich der Agent Erkan Ozerman an. Er brachte damals Leute wie Charles Aznavour und Liza Minelli nach Nahost. Er würde gerne Konzerte für mich in der Türkei organisieren, sagte er mir. Ich reiste dann für drei Auftritte dorthin. Der Erfolg war derartig, dass ich unmittelbar im Anschluss Engangements für 67 weitere Konzerte und danach noch einmal für 90 Konzerte erhielt. Ich lebte also etwa drei Jahre in der Türkei.

eurovision.de: Dann war der Agent Erkan Ozermann eine Schlüsselfigur für Sie.

David: Er ist so etwas wie mein großer Bruder geworden, wir treffen uns häufig. Mit Erkan bereite ich derzeit etwas Besonderes vor, worauf ich mich sehr freue. Es gibt große Konflikte zwischen Armeniern und Türken. Das ist das Schlimmste, was zwischen zwei Nationen passieren kann, nach so vielen Jahren immer noch verfeindet zu sein. Ich habe daher ein Projekt mit Erkan entwickelt und Charles Aznavour [dessen Eltern aus Armenien stammten, Anm. d. Red.] vorgeschlagen, dass einige seiner Lieder ins Türkische übersetzt werden. Er sagte: "Anne Marie, das ist eine großartige Idee." Bislang habe niemand seine Lieder ins Türkische übersetzt, weil er keines seiner Lieder auf Türkisch haben wollte. Aber meine Idee klinge nach einem tollen Projekt.

Er stimmte daher zu, dass zwei seiner Songs von Erkan übersetzt werden, den er von früher kannte. Ich freue mich also riesig darauf, dass ich nächstes Jahr, dem so genannten "Jahr der Türkei" in Frankreich, wohl die übersetzten Aznavour-Songs auf Türkisch singen werde. Das ist mir sehr wichtig. Mir gefällt die Vorstellung, dass diese zwei Länder für die Dauer von einigen Liedern durch mich befreundet sein können. Wir werden mehrere Konzerte in der Türkei und in Frankreich veranstalten.

eurovision.de: Haben Sie schon neue Songs für den ESC 2009 gehört?

David: Noch nicht, aber ich weiß, dass Andrew Lloyd Webber der Komponist für Großbritannien sein wird. Das ist ein merkwürdiger Zufall, weil Lloyd Webber mich 1972 für die Rolle der Maria Magdalena in seinem Musical "Jesus Christ Superstar" ausgesucht hatte. Es wäre komisch, ihn nun in Moskau wiederzutreffen, weil ich vielleicht die Band begleiten werde, die Frankreich repräsentieren könnte. Ende November nehmen wir den Song auf.

eurovision.de: Was ist das für ein Lied?

David: Vielen Franzosen ist der ESC sehr wichtig. Sie haben daher über das Internet einen Songwettbewerb für den französischen Beitrag in Moskau 2009 gestartet, an dem meist französische Komponisten und Texter teilnahmen. Es kamen etwa 300 Lieder zusammen, aus denen die Internetuser das beliebteste auswählen durften. Der Produzent des ausgewählten Titels "Sois" (zu deutsch: Sei) hat mich sofort angerufen und mich gebeten, den weiteren Werdegang des Liedes zu unterstützen. Ich hätte so viel Eurovisionserfahrung. Ich habe dann beim Casting geholfen. Wir nehmen das Lied am 21. November auf und hoffen, dass der Sender "France 3" es als offiziellen Beitrag für Moskau nimmt. Wir wollen, dass Frankreich wieder auf den ersten Plätzen landet.

eurovision.de: Bei Sebastian Tellier gab ja eine ziemliche Kontroverse, als er 2008 auf Englisch sang.

David: Wir haben so eine schöne Sprache, die mehrfach beim Wettbewerb gewonnen hat, Jahrhunderte lang exportiert wurde, durch Sänger, Poeten, die Oper. Daher wundert es mich, dass ein Franzose seine Heimat nicht mit seiner Muttersprache vertritt. Wenn ich im Ausland auftrete, werde ich als Französin immer wieder gebeten, auf französisch zu singen, obwohl ich in vielen anderen Sprache singe.

eurovision.de: Dann drücken wir die Daumen, Sie als Patin von "Sois" nächstes Jahr in Moskau zu sehen.

David: Das wäre wirklich aufregend, ich würde gerne hinfahren. Aber nicht als Patin, eher als Zauberin für die Ladies. Viel Glück auch für Deutschland!

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 31.03.1979 | 21:00 Uhr

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