Frankreich: Sébastien Tellier
Frankreich gehört zusammen mit Spanien, Großbritannien und Deutschland zur Gruppe der "Big Four". Die vier Länder bilden das finanzielle Fundament des Grand Prix und erhalten dafür ein besonderes Privileg: Sie müssen sich nicht für einen Startplatz im Finale qualifizieren. Die Televoter interessieren sich allerdings herzlich wenig für die Finanzierung ihres Lieblings-Wettbewerbs und so hatten die großen Vier bei der Verteilung der Länderpunkte in den vergangenen Jahren immer wieder das Nachsehen.
Dreimal in Folge unter den letzten Fünf gelandet zu sein, das schmeckt der Grande Nation natürlich nicht und deshalb verzichteten die Verantwortlichen des französischen Fernsehsenders France 3 in diesem Jahr auf einen Vorentscheid und erklärten Sébastien Tellier zu ihrem Wunschkandidaten. Dessen Song heißt "Divine", doch anstatt auf einen klassischen Chanson zu setzen, zeigen sich die Franzosen angesichts der Punktekrise sehr risikofreudig und schickten Tellier mit einer synthetischen Elektropop-Nummer nach Belgrad.
Empörung in der Politik
Für einige Aufregung in der französischen Presse sorgte zwischenzeitlich der englische Text von "Divine". Sébastien Tellier verzichtete bis auf zwei Textzeilen auf seine Muttersprache und rief damit Politiker wie Alain Joyandet auf den Plan. Der Staatssekretär für Zusammenarbeit und Frankophonie forderte, Frankreich müsse beim Grand Prix mit einen französischen Lied vertreten werden. Auch zahlreiche weitere Politiker schlossen sich dieser Meinung an. Dass seit 1999 die Muttersprachregel beim Contest endgültig abgeschafft wurde, schien die Kulturwächter bei ihrer Kritik nicht zu interessieren. Unbeeindruckt von den politischen Zwischenrufen hielt das französische Fernsehen an seiner Wahl fest - nicht ohne Grund. Das Feuilleton sieht in Sébastien Tellier seit der Veröffentlichung seines fünften Albums "Sexuality" im Februar diesen Jahres ein verschrobenes Genie, das den französischen Chanson neu erfunden hat. Wer könnte also Frankreich beim Grand Prix besser vertreten als Tellier?
Keine Verkleidung, keine Satire
Schwarze Haare, dunkle Sonnenbrille und ein dichter Vollbart - auf Fotos oder im offiziellen Eurovision-Video wirkt er wie ein schlecht verkleideter Schauspieler, aber wer Sébastien Tellier in die Nähe von Spaniens Witzfigur Rodolfo Chikilicuatre rückt, tut dem französischen Grand Prix Kandidaten unrecht. Der ungepflegte Bart gehört zu Telliers Markenzeichen, seit er um die Jahrtausendwende in der französischen Elektroszene debütierte. Deren bekannteste Vertreter zählten zu den Geburtshelfern seiner Karriere. Nicolas Godin und Jean-Benoît Dunckel von Air nahmen den exzentrischen Soundtüftler mit ihrer Plattenfirma Record Makers unter Vertrag und Quentin Dupieux alias Mr. Oizo beteiligte sich an der Produktion seines Debütalbums "L'incroyable vérité".
Nach dessen Veröffentlichung im Jahr 2000 begann der langsame Aufstieg des bärtigen Franzosen vom Underground-Künstler zum Darling des Mainstream: 2004 schaffte es Tellier mit seinem Song "Fantino" auf den Soundtrack von "Lost In Translation" - dem Welterfolg der Regisseurin Sofia Coppola. Weitere Veröffentlichungen folgten und der Pariser sonnte sich im Glanz prominenter Kollegen: Unter anderem trat er im Vorprogramm von Air, Moby und Röyksopp auf. Sébastien Tellier fehlte in seiner Vita eigentlich nur noch die Zusammenarbeit mit Frankreichs begehrtesten Elektro-Export: Daft Punk. Also sicherte er sich 2008 für "Sexuality" die Produzentendienste von Guy-Manuel de Homem-Christo, der einen Hälfte des weltweit erfolgreichen Duos. Wenig erfolgreich war aber sein Auftritt in Belgrad. Mit 47 Punkten reichte es nur für den 19. Platz.