Stand: 27.04.2009 12:31 Uhr

"Hauptsache dabei sein - mit möglichst viel Brimborium"

von Irene Altenmüller
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer © Doris Poklekowski Foto: Doris Poklekowski
Seit Kaminers "Russendisko" hat die moderne russische Musik in Deutschland Kultstatus.

Wladimir Kaminer ist einer der beliebtesten jungen Autoren in Deutschland. Mit seinen skurrilen Alltagsgeschichten feiert er regelmäßig Bucherfolge. Der gebürtige Moskauer kam 1990 nach Berlin, wo er bis heute mit seiner Frau und seinen beiden Kindern lebt. Berühmt-berüchtigt ist auch seine "Russendisko" im Berliner Café Burger. Am Finalabend ist Kaminer zu Gast beim "Countdown für Moskau". Gemeinsam mit Paul Potts, der Girlband Queensberry und dem aktuellen Gewinner der "Deutschland sucht den Superstar"-Staffel wird er am 16. Mai ab 20.20 Uhr auf der Hamburger Reeperbahn bei der deutschen Show zum Eurovision Song Contest mitfeiern und mitfiebern.

eurovision.de: Sie sind am Finalabend in Hamburg bei der Grand Prix Feier auf der Reeperbahn mit dabei. Welche Bedeutung hat der Eurovision Song Contest für Sie?

Wladimir Kaminer: Für mich ist der ESC vor allem ein Beitrag zur Völkerverständigung. Man feiert miteinander statt gegeneinander zu stehen. Außerdem lernt man Musik kennen, die man sonst nicht so zu hören bekommt, weil man sie im eigenen Land gar nicht gespielt würde.

eurovision.de: Sie stammen ja aus Moskau. Was glauben Sie, wie werden die Moskauer den ESC feiern?

Kaminer: Ich glaube, das wird in Moskau eine ganz wichtige Angelegenheit sein, weil meine Landsleute noch immer das Gefühl haben, in Europa nicht richtig angekommen zu sein. Der Eurovision Song Contest ist für sie schon beinahe so etwas wie die Teilnahme an der EU. Der Song Contest ist ein gutes Mittel gegen die Minderwertigkeitskomplexe der Russen.

eurovision.de: Haben die Russen denn wirklich Minderwertigkeitskomplexe?

Kaminer: In Bezug auf Europa, ja klar! Es ist doch auch heute noch so: Wenn irgendein russischer Geschäftsmann in Deutschland in eine Fabrik investiert, dann steht am nächsten Tag hier in der Zeitung: Russische Mafia übernimmt deutsche Wirtschaft", oder so ähnlich. Es gibt noch sehr viele Vorurteile über die Russen hier in Europa. Und den Russen fehlt wiederum der Humor, um mit diesen Vorurteilen richtig umzugehen. Der Eurovision Song Contest ist ein gutes Mittel, um Menschen etwas näher zueinander zu bringen.

eurovision.de: Mit Ihrer Russendisko haben Sie ja die moderne russische Musik in Deutschland populär gemacht. Was sagen Sie zu dem diesjährigen russischen Beitrag der von der Ukrainerin Anastasija Prichodko gesungen wird?

Der Autor Wladimir Kaminer © Doris Poklekowski Foto: Doris Poklekowski
Wladimir Kaminer: "Ich bin für Deutschland!"

Kaminer: (lacht) Es gab ja bereits im Vorfeld große Unruhen, weil die Russen gerade ein etwas angespanntes Verhältnis zu der Bruderrepublik Ukraine haben. Aber auch das war im Grunde genommen ein Schritt nach vorn, dass wir jetzt auch Talente aus unseren Bruderrepubliken holen, die uns dann beim Eurovision Sonmg Contest repräsentieren.

eurovision.de: Es gab aber auch einige Stimmen, die dagegen waren, dass eine Ukrainerin Russland vertritt.

Kaminer: Man kann es eben nicht allen Seiten recht machen. Es wird immer irgendwelche Leute geben, die sagen: 'Alles, nur nicht die.' Ich finde, sie ist ganz in Ordnung. Sie sieht gut aus, sie singt nicht schlechter als die anderen¿ Es geht ja nicht darum, die besten Künstler des jeweiligen Landes zu präsentieren. Es können meinetwegen auch die schlechtesten sein. Hauptsache, man ist dabei, und zwar mit möglichst viel Brimborium.

eurovision.de: Gefällt Ihnen denn der Song?

Kaminer: Na ja, es ist vielleicht nicht der Song, den ich bei mir zu Hause in der Küche hören würde, aber wie gesagt, der Sinn des Eurovision Song Contest ist ja nicht, die beste Musik zu produzieren. Der Sinn ist, zusammen zu feiern. Eine Art europäische Einigung zu feiern.

eurovision.de: Was ist denn für Sie der größte Grand Prix Hit aller Zeiten?

Kaminer: Für mich war "Dschinghis Khan" eine ganz große Nummer. Und auch den Song "Moskau" von der Gruppe Dschinghis Khan spiele ich übrigens immer noch bei mir in meiner Russendisko, obwohl wir eigentlich nur russische Musik auflegen. Aber mit Dschinghis Khan sind wir aufgewachsen. Leider haben sie damals ja nicht gewonnen. Wäre schön, wenn die Deutschen mal gewinnen würden. Dann könnten sie mal ihren schwermütigen Ruf ablegen und würden zu leichtsinnigen Discopoliten aufsteigen. (lacht

eurovision.de: Wie gefällt Ihnen denn der deutsche Beitrag, "Miss Kiss Kiss Bang"?

Kaminer: Es geht ja nicht nur um die Beiträge, sondern auch um die Gesamtsituation. Ich glaube, dass Deutschland zurzeit ganz viele Stimmen bekommen kann aus anderen Ländern. Die kleinen Länder haben sich zum Teil verkracht, auch Russland mit Ukraine oder Russland mit Georgien. Und Deutschland hat eigentlich niemandem weh getan in der letzten Zeit, deshalb glaube ich, dass es gute Chancen hat.

eurovision.de: Was ist Ihr Favorit für den diesjährigen ESC?

Kaminer: Also ich bin für Deutschland! Ich freue mich total auf den Eurovision Song Contest. Ich nehme auch ein paar Freunde nach Hamburg mit. Wir kommen dann in einer großen Gesellschaft zum Feiern auf die Reeperbahn.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 16.05.2009 | 21:00 Uhr

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